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Archiv-Artikel

Ein Geschenk für alle

Die Oper von Kapstadt ist mit George Gershwins „Porgy and Bess“ in Berlin: eine Inszenierung, die von den hinreißenden Stimmen lebt. Verblüffende Weltmusik aus den Townships von Südafrika

Ein bisschen Schliff, und die Opernhäuser der Welt werden sich um die Sänger reißen

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Einen ganzen Monat lang, täglich außer montags bis zum ersten August, ist die Deutsche Oper eine Art Außenstelle des Hauses der Kulturen der Welt. Zu sehen – und zu hören vor allem – ist George Gershwins „Porgy and Bess“ in einer Inszenierung von Angelo Gobbato, dem Gründer der heutigen Oper von Kapstadt, dem einzigen der ehemals vier Opernhäuser Südafrikas, das nach dem Ende der Apartheid überlebt hat.

Gobbato ist mitgereist nach Berlin, er kann seine Oper einfach nicht allein lassen, denn dass es sie überhaupt gibt, im Südafrika von heute, ist seine ganz persönliche Geschichte. Man muss sie zur Kenntnis nehmen, um zu verstehen, was seine Aufführung von Gershwins klassischem Sozialdrama aus den USA der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts bedeutet. Sie entstand 1995, und Gobbato sagt im Programmheft, es sei ihm „sehr wichtig, den deutschen Zuschauern zu sagen, dass sie eine großformatige Oper sehen werden. Gershwin hat eine komplexe, durchkomponierte Oper mit großer Orchesterbesetzung geschrieben. Die Sänger leisten hier Schwerstarbeit.“

Man glaubt es gern, zu hören jedoch ist es nicht. Die Stimmen aus Südafrika sind hinreißend, eine wie die andere mit ihrem eigenen, individuellen Timbre, mal strahlend, mal rau und von unverbrauchter Kraft. Rein gar nichts klingt nach schwerer Arbeit, vielmehr schwingt der ganze Körper mit, voller Lust am Klang der menschlichen Stimme, der herausmuss und mühelos den Saal ausfüllt.

Ohne jede Verstärkung selbstverständlich: Ella Fitzgeralds „Summertime“ mag unvergesslich sein, dass Gershwin eigentlich eine Arie für eine Opernsängerin schrieb, ist erst hier wieder zu hören. Besser kann man das Original wahrscheinlich nicht singen, stilisierter vielleicht, jazziger, raffinierter, kunstvoller wohl auch, aber nicht besser. Die Blue Notes, mit denen Gershwin die Salonmusik seiner Zeit gepfeffert hat, sind völlig unwichtig, der Swing, den das Orchester der Deutschen Oper ohnehin nicht so gut kann, ist Nebensache, alles ist Stimme und pure Lust am Gesang.

Stehender Applaus war der Dank des Berliner Premierenpublikums am Freitagabend, sie haben ihn wahrlich verdient, aber beim Herausgehen hat sich ein fataler Gedanke in mein Hirn gebohrt: „Das sind Rohdiamanten.“ Schon wieder das. Rohdiamanten aus den Minen Südafrikas haben den Staat der Weißen reich gemacht und seine schwarze Bevölkerung ins Elend gestürzt. Kann es sein, dass wir jetzt, nach dem Regime der Rassisten, auch noch die Stimmen der Schwarzen ausbeuten? Ein bisschen Schliff, und die Opernhäuser der Welt werden sich um sie reißen, daran kann überhaupt kein Zweifel sein.

Vielleicht ist das unvermeidlich, aber nicht schlimm. Denn es muss nicht Ausbeutung sein. Gobattos Geschichte ist eine andere. „It ain’t necessarily so“, singt Sportin’ Life, der Drogenhändler, um seinen schwarzen Brüdern und Schwestern zu sagen, dass die Welt etwas komplizierter ist, als sie es in der christlichen Sonntagschule gelernt haben. Noch ein Jazz-Standard, fast so berühmt wie „Summertime“: Schon Gershwin hatte seine Edelsteine aus der Musik der Schwarzen geschürft. Sie haben schwarze wie weiße Musiker inspiriert, und sind Weltmusik im ursprünglichen Sinn des Wortes geworden, nämlich keine Folklore, sondern universal gültige Kunst. Warum sollte nicht auch die Oper insgesamt solche Weltmusik sein? Nicht nur „Porgy and Bess“, jede Oper? Das ist die Botschaft dieser fabelhaften Stimmen aus Südafrika. Im Juni stand zu Hause Massenets „Werther“ (nach Goethe) auf dem Spielplan. Im August kommt Mozarts „Don Giovanni“, dann Verdis „Aida“.

Angelo Gobatto, 1950 im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern aus Italien eingewandert, hatte schon in den Sechzigerjahren begonnen, mit schwarzen Sängern und Sängerinnen zu arbeiten. An der vergleichsweise liberalen Universität von Kapstadt war es manchmal auch Schwarzen möglich, klassischen Gesangsunterricht zu nehmen. Gobatto, selbst Opernsänger, schreibt in seiner Selbstdarstellung: „Ich war begeistert, so viele außerordentliche Stimmen zu hören, und zog daraus den logischen Schluss, dass sie nicht nur ein Geschenk für alle Südafrikaner wären, gleichgültig welcher Rasse, sondern auch die Wertschätzung der traditionellen europäischen Oper die Seele unseres ganzen Volkes weiterbilden würde.“

Um nichts Geringeres also geht es: um ein Geschenk für die Seele des ganzen Volkes. Auch unter der demokratischen Regierung von heute haben Gobatto und seine Mitstreiter einen schweren Stand, denn nicht zu Unrecht galten die Opernhäuser zunächst als Bastionen der weißen Rassisten. Die Subventionen wurden gestrichen, aber auch Aufführungen von Schwarzen stießen auf Misstrauen der offiziellen Kulturpolitik. Gastspielreisen bringen Geld ein und helfen, die pure Existenz dieser letzten Oper Südafrikas zu sichern.

Deswegen kann Gobattos Inszenierung kein Meisterwerk des Regietheaters sein. Sie muss der ganzen Gattung eine neue Heimat bieten und erzählt mit malerisch dekorativen Bildern in den naturalistischen Kulissen einer von der Abrissbirne demolierten Township die Geschichte der drogensüchtigen Bess und des gelähmten Bettlers Porgy ohne Umstände, als habe sie sich genau so hier und heute zugetragen.

Das ist für Europäer schockierend naiv, aber notwendig als Rechtfertigung im eigenen Land. Der Schauplatz muss immer erkennbar bleiben: Sie singen für sich, nicht für den Export, und erobern sich endlich zurück, was ihnen gehört: die Weltmusik der großen Oper.