: Die Hoffnung heißt Maschine
Ein vollautomatisches Krabbenschälzentrum an der Nordsee? Spektakulär klingt das nicht, was ein Geschäftsmann in Cuxhaven plant. Ist es aber. Denn alle seine Vorgänger sind gescheitert. Weil Handarbeit billiger ist – in Marokko
Der Krabbentransport von der Nordsee in die Sahara und zurück gilt als Musterbeispiel für einen „unsinnigen Transport“: Der Schulbuchverlag Westermann hat es auch für den Unterricht in die Publikation „Praxis Politik“ aufgenommen. Über die Öko-Bilanz der Krustentierkarawane liegen allerdings Zahlen nur von den Großhändlern selbst vor: Der durchschnittliche Dieselverbrauch pro Kilo Krabbenfleisch beträgt nach deren Angaben 279 Milliliter. Das entspricht pro Tier etwas über 0,0003 Liter, aufs Jahr hochgerechnet hingegen gut 4,1 Millionen Liter. Als gravierendes Problem gilt zugleich der hohe Treibstoff-Verbrauch der Krabbenfischerei selbst. Bei einem Experten-Gespräch in Husum wurden diesbezüglich Lösungsvorschläge diskutiert: Niedersachsen und Schleswig-Holstein planen, Förderprogramme für Forschung und Entwicklung von spritsparenden Fanggeschirren. TAZ
VON BENNO SCHIRRMEISTER
In Cuxhaven versucht es jetzt wieder einer. Gregor Kucharewicz ist 32 Jahre alt. Er ist kein Fischer und kein Tüftler, sondern Kaufmann. Die Krabbenschälzentrum GmbH hat er 2006 in seiner Heimatstadt Bremerhaven gegründet. Aber da stand der Name nur für eine Geschäftsidee. Dafür reicht ein Büro. Im Juni ist das Unternehmen endgültig nach Cuxhaven umgesiedelt, wo seit Mai gebaut wird.
Drei Kühlräume entstehen in den lange schon brach liegenden Hallen der erloschenen Norda-Lysell Fischfeinkost GmbH, Kostenpunkt: Gut zwei Millionen Euro. Den Umbau zahlt die Niedersachsen-Ports, für fast vier Millionen Euro lässt Kucharewicz dann Maschinen installieren. Krabbenpulmaschinen. „Mitte August“, sagt er, „soll es fertig sein.“ Der Testbetrieb werde im September aufgenommen. Im Regelbetrieb sollen sie täglich 2,4 Tonnen Krabbenfleisch freilegen, sagt Kucharewicz, gut 60 Arbeitsplätze sollen entstehen.
Lob für seine Pläne hat er vor allem vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) bekommen. Das sei „eine gute Nachricht“, sagt dessen Sprecher Michael Frömming. Offenkundig nutze der hohe Spritpreis der regionalen Wirtschaft – indem „unsinnige Transporte“ unattraktiv werden. Für die gelten Nordseekrabben als Paradebeispiel. Sogar in Schulbücher hat es Einzug gefunden: Die Krebstiere werden nämlich von der Nordseeküste per Laster quer durch Europa gekarrt, in Gibraltar übergesetzt. In Tetouan und in Tanger sichern sie hunderten von marokkanischen Frauen das Einkommen. In riesigen Kühlhallen arbeiten sie hauptberuflich als Pulerinnen.
Dann geht das Garnelenfleisch wieder auf Reise. Zum Beispiel nach Neuharlingersiel, wo sie nach fast 6.000 Kilometern Landweg auf Brötchen landen und direkt vom Kutter verkauft werden: Die dortige Fischereigenossenschaft setzt in letzter Zeit verstärkt auf Direktvermarktung. Das sichert örtliche Arbeitsplätze.
Pioniere resignieren
Lange war die Fischereigenossenschaft Vorreiterin in Sachen Maschinen-Schälen. Vor sechs Jahren aber hat man umgestellt. „Wir lassen jetzt in Marokko pulen“, bestätigt Geschäftsführer Martin Bengen. Die Maschinen waren wartungsintensiv. Und die Ausbeute war zu gering. Mag ja sein, dass der Ölpreis und die Löhne auch in Nordafrika steigen. Bengen beeindruckt das wenig: „Das rentiert sich immer noch nicht“, sagt er. „Wir müssen hier mit spitzem Bleistift rechnen.“ Der Unterschied muss wirklich enorm sein: Selbst die Alwin und Siegfried Kocken Krabbenhandels-Gesellschaft aus Spieka-Nordholz kutschiert mittlerweile auf Kundenwunsch Garnelen ans Mittlemeer. Dabei ist bei dem Familienbetrieb aus Spieka-Nordholz der Einsatz der Schälmaschine eine Frage des Prinzips: Schließlich hat Alwin Kocken eine selbst erfunden, er hat sie sogar bis zur Marktreife entwickelt. Das ist schon 20 Jahre her. In Spieka-Nordholz läuft sie auch. Verkauft aber hat er keine. Das Zentrum in Cuxhaven? Davon habe man gehört, heißt es. Beteiligt sei man daran nicht.
Krabbenpulen ist eine tückische Angelegenheit: Drückt man zu stark auf den Kopf, matscht das Fleisch. Drückt man zu schwach, löst sich die Schale nicht. Und wenn der Dreh nicht stimmt, hält man den Schwanz in der Hand. Es ist kaum zum Aushalten.
Legenden aus Dorum
Den zornigen Dorumer Fischer Wolfgang Preuß soll das Problem schon in den 1920er-Jahren umgetrieben haben: Als seine Maschine fertig war, drückte sie mal den Garnelenkopf zu stark, mal zu schwach und ließ weit über die Hälfte der Biester durchflutschen. Die Dorfchronik weiß nichts über den weiteren Verbleib des Tüftlers. Der Legende nach aber verfiel er in Depression und starb.
Zwar hatte er zahllose Nachfolger. Doch nur zwei waren erfolgreicher: Kocken, wie gesagt. Und Ilja van Woensel, der seine Idee sogar hat vermarkten können: Seine Firma heißt Megapel BV und 1999 hat er erneut „ein Gerät und eine Methode zum Garnelenschälen“ international schützen lassen. „Ich bin nach Haarlem gefahren“, sagt Kucharewicz, „und habe mir das angeschaut.“ Die neue Maschine „arbeitet ganz prima“, sagt er. Und 24 Stück hat er geordert. Er ist zuversichtlich, „vergleichbare Ergebnisse wie bei Handarbeit“ zu erhalten – sprich: Eine Ausbeute von 32 bis 34 Prozent. Aber für wen? „Da ist Stillschweigen vereinbart“, sagt er, „da bitte ich um Verständnis.“
Mit Misserfolgen will später niemand in Verbindung gebracht werden. Und in Bezug auf Krabbenschälzentren ist Vorsicht geboten. Europas erstes sollte vor zehn Jahren in Dithmarschen entstehen. Die damals rot-grüne Landesregierung Schleswig-Holsteins war Feuer und Flamme für das Büsumer Projekt. An der Kieler Uni wurden vielseitige Gutachten verfasst, denen zufolge die geplante Fabrik rentabel sein würde. Das Medienecho war enorm. Heute fällt es schwer, jemanden in Büsum zu finden, der sich daran erinnert. „Das ist uns völlig unbekannt“, heißt es in der Gemeindeverwaltung.
Bereinigter Markt
Betriebe, bei denen man nachfragen könnte, sind auch nicht mehr so viele da: Die Büsumer Fischereigenossenschaft ist Anfang des Jahres von der Büsumer Fischreigesellschaft geschluckt worden. Und die gehört schon seit neun Jahren zur Heiploeg BV, die ihren Hauptsitz in Zoutkamp hat. Ihr einziger ernsthafter Konkurrent ist die Klaas Puul BV aus Volendam. Beide zusammen verarbeiten und vermarkten fast 90 Prozent des Fangs – in Deutschland sind das jährlich rund 15.000 Tonnen. Sprich: Zehneinhalb Milliarden Tiere.
„We are not involved in Cuxhaven“, stellt Heiploeg-Geschäftsführer Hans Luit klar. Auch wenn der Konzern selbst auch maschinelle Schälverfahren testet. „Seit zwei Jahren schon“, sagt er, „in Holland“. Ökonomische Gründe dafür gebe es nicht. Und ökologische? Verbesserungsbedarf bestehe da „vor allem beim Fang“, sagt Luit.
Tatsächlich, so rechnen die Großhändler vor, verbraucht die Europareise der Krabben pro Kilo kaum mehr als ein Viertel Liter Diesel. Das klingt erst nach viel, wenn man es aufs Jahr hochrechnet: 4,1 Millionen Liter. Aber die sind Gift fürs Image. Da liegt Kucharewiczs Chance.