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Archiv-Artikel

Hanseaten wider Willen

Mit einer Koggen-Parade feiert Bremen heute seine 650-jährige Mitgliedschaft in der Hanse. Die tatsächliche Geschichte hinter der Mittelalter-Folklore ist auch von Ärger und Zwang geprägt

650. Geburtstag? Ehrlicher wäre es, derzeit den 723-jährigen Rausschmiss Bremens aus der Hanse zu begehen

Von Henning Bleyl

Der Begriff „hanseatisch“ gilt weithin als Gütesiegel, als Synonym einer hochwertigen Mischung aus Urbanität, Zuverlässigkeit, kaufmännischer Effizienz, geradezu aristokratischer Bürgerlichkeit gepaart mit Liberalität. Nicht nur gemischt-erfolgreiche Veranstaltungsgesellschaften, selbst Computerspiele lassen sich unter diesem Namen gut vermarkten. Seinen Höhepunkt feiert die allgemeine Hanse-Begeisterung mit der am Wochenende steigenden Kogge-Parade im Rahmen des 650. Bremischen Hanse-Geburtstags.

War der Beitritt zum Städtebündnis tatsächlich ein „historischer Grundstein für Bremens Weltoffenheit“, wie Bürgermeister Jens Böhrnsen in seinem Jubiläums-Grußwort betont? Die Umstände dieses „Beitritts“ legen anderes nahe: Nachdem sich Bremen lange von der Hanse fern gehalten hatte, kam es 1358 – dem jetzt gefeierten Datum – zu einer handfesten Auseinandersetzung um den Flandernhandel. Bremen war keineswegs gewillt, den von der Hanse verhängten Boykott der dortigen Tuch-Produktion zu befolgen. Letztlich jedoch mussten die Bremer Kaufleute klein bei geben, der Rat die künftige Einhaltung der Hanseregeln beschwören. Der Beginn einer hanseatischen Stadt-Tradition könnte rühmlicher sein.

Hintergrund war ein geographischer Interessensunterschied: Während die zunächst vor allem Ostseeraum aktive Hanse vom West/Ost-handel profitierte, orientierte sich Bremen traditionell Richtung England, Norwegen und Flandern.

Der heutige Stolz auf Bremens hanseatische Tradition erklärt sich also vor allem aus der historischen Distanz. Bezweifelbar ist im übrigen, ob Bremen mit seinem Jubiläum die zeitlich richtige Dimension propagiert. Die 1358er-Urkunde spricht von einem „Wiedereintritt“ in die Hanse. Diese Forschungsproblem gilt nach wie vor als ungeklärt. Herbert Schwarzwälder, Verfasser der fünfbändigen Bremen-Geschichte, vermutet, dass Bremen schon vor 1358 hansische Geschichte schrieb: 1285 wurde Bremen auf Grund von Handels-Streit in Norwegen mehrere Jahrzehnte von Teilen der Hanse mit einem Boykott belegt, der von manchen Geschichtsdarstellungen als „Ausschluss“ gewertet wird. In Ermangelung eines älteren Eintrittsdatums müsste also, will man sich tatsächlich auf die ältesten Spuren beziehen, derzeit der 723-jährige Hanse-Rausschmiss begangen werden.

Statt dessen die 650-jährige Eintritts-Party: Bürgermeister und Böllerschützen begrüßen die Koggen am Samstag in Vegesack, tags darauf im Überseehafen, Böhrnsen bewirtet die internationalen Ehrengäste an der „Hansetafel“. Dabei sagt selbst der Umstand, dass Bremen auf die erste urkundliche Beglaubigung einer Hanse-Mitgliedschaft verweisen kann, eher Negatives über das zeitgenössische Image. Konrad Elmshäuser, Direktor des Bremer Staatsarchives: „Die Hanse-Städte wollten ganz sicher gehen, dass Bremen sich nicht wieder aus seinen Verpflichtungen heraus windet.“ Zuvor waren solche schriftlichen Fixierungen nicht für nötig gehalten worden – doch Bremen galt ganz offenbar nicht als Prototyp hanseatischer Verlässlichkeit.

Natürlich ließe sich über die temporäre wirtschaftliche Potenz der Hanse auch viel Positives sagen – festzuhalten ist jedoch gleichfalls, dass Bremen auch innerhalb des Bündnisses keineswegs immer bella figura machte. Etliche Male, zuletzt 1563, wurde die Stadt wegen diverser Regel-Verletzungen „verhanst“ – aus dem Städtebündnis herausgeworfen. Bremen fiel aber nicht nur durch seine ständigen Renitenzen, sondern auch durch eine gewisse Großspurigkeit. Schwarwälder stellt: „Bremen gehörte nach seiner wirtschaftlichen und militärischen Potenz zur Mittelgruppe, beanspruchte aber bei den Entscheidungen neben Lübeck, Köln und Hamburg eine Spitzenstellung.“

Elmshäuser bestätigt, dass Bremen im Gerangel mit Hamburg um den dritten Platz innerhalb der Hanse-Hierarchie auch vor Urkundenfälschung nicht zurückscheute. Eine in Zusammenhang mit den späteren Streitigkeiten um Bremens „Reichsunmittelbarkeit“ – also der auch heute vehement verteidigten Eigenstaatlichkeit innerhalb des Reiches – bekannte Technik, die wiederum wenig mit „hanseatischer Solidität“ zu tun hat.

Auch in umgekehrter Richtung hatte die Hanse nicht immer den positivsten Einfluss auf Bremen. Eine der Bremen-Rausschmisse (1427) hing damit zusammen, dass der Städtebund die relative Demokratisierung des Gemeinwesens nach politischen Unruhen unter den Handwerkern torpedieren wollte. Erst nach Restaurierung der alten, oligarchischen Ordnung wurde Bremen wieder in die Hanse aufgenommen.

Vor diesem Hintergrund wundert es kaum, dass Bremen auf den Titel einer „Hansestadt“ lange Zeit wenig Wert legte. Von 1646 bis 1806 nannte man sich lieber „Kaiserliche Freie Reichsstadt“. Erst seit 1813 taucht die Hanse kontinuierlich im Bremer Namen auf – der Umstand, dass die Hanse zu diesem Zeitpunkt schon 150 Jahre tot war, verweist auf den zeittypischen romantisch-verklärenden Charakter dieser Selbstdefinition.

Wenigstens lehrt die vermeintliche Hanse-Herrlichkeit eines: Dass Flächenländer immer ein Problem für Stadtstaaten sind. Was heute sich heute in den Bahnen eines hochregulierten Föderalismus abspielt, folgte ab dem 16. Jahrhundert ähnlichen, aber deutlich einfacheren Mustern. Elmshäuser: „Eine Hansestadt nach der anderen wurde von den deutschen Territorialfürsten einkassiert.“ Das jedoch – man muss es zugeben – hat Bremen bislang verhindert.