: Im Zeichen der Wolke
Seit über 30 Jahren erkundet John Stezaker die Möglichkeiten der Collage – und hat damit einen Ausgangspunkt für aktuelle Kunst geschaffen. Wie eine Ausstellung in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) beweist
Sich von der Kunst verabschieden, von der Idee, etwas Neues, Eigenes zu schaffen – ist ein Weg in die Kunst. John Stezaker ist ihn gegangen. Als Kind, fasziniert von einem Dia – das Motiv: Big Ben im Abendsonnenschein –, habe er versucht, dieses Bild mit Farben auf seine Zimmerwand zu übertragen, hat er in einem Interview erzählt. „Ein atemberaubendes Gemälde“ sei es gewesen, so lange er die Vorlage über das gemalte projizierte. „But the moment I turned the light on, it was just a horror!“
Die Nummer eins seines Werkkatalogs ist deshalb eine kolorierte Postkarte. Das Motiv: Big Ben im Abendsonnenschein. Gefunden 1966, beschnitten, gerahmt und schließlich, 1974, mit dem Titel „The End“ versehen. Das darf als Initialzündung einer so beharrlichen wie randständigen künstlerischen Suche im vorhandenen Bildmaterial gelten – die ihn wiederum zu einer zentralen Bezugs-Größe für zahllose Akteure der Gegenwartskunst gemacht hat. In der GAK zeigt der Künstler, dessen oft über Jahrzehnte hinweg ausgearbeitete Serien mittlerweile in der Tate Britain und der Saatchi Gallery hängen, das Ende, das sein Anfang war, zum ersten Mal öffentlich. Fumetti heißt die Ausstellung und ist eine veritable Werkschau.
Sie zeigt Bilder aus Fotoromanen, Porträt-Fotografien und Filmstills, könnte man sagen. Aber das wäre ungefähr so sinnlos, wie Leinwand und Tempera als Themen einer Rubens-Ausstellung zu benennen: Die Starporträts, Kinderbuchillustrationen und Postkarten sind für den 1949 geborenen Briten das, was für alte Holländer die Farben waren. Er ist kein Maler. Wenn, dann müsste man ihn einen Collageisten nennen.
Das Wort gibt es nicht – weil es nur auf John Stezaker passt: Anders nämlich als Dadaisten und Punk-Artisten nutzt er die Collage nicht, um allgemeine Revolte und den Tod der Kunst zu proklamieren: Er lotet ihre künstlerischen Möglichkeiten aus. Und schon wird die Sache subversiv: Stezakers Klebebilder arbeiten statt mit rabiaten Brüchen mit gleitenden Übergängen – oft kaum sichtbar, aber eben doch immer kenntlich. Als ihr Emblem und Leitmotiv kann die amorphe Figur der Wolke gelten, unverhüllt bereits im Londoner Abendhimmel von The End, radikal in Szene gesetzt in der Ende der 1980er begonnenen Serie Sublimes, die aus auf die Dampffahnen reduzierten alten Lokomotiven-Fotos besteht, und fast übersehen, aber doch präsent, in der titelgebenden, 2008 begonnenen Serie der Fumetti: Im Italienischen bezeichnet das Wort Comics und Fotoromane – angelehnt an deren charakteristische, an Rauchwölkchen erinnernde Sprechblasen. Ihre Einzel-Stücke setzen sich zusammen aus je zwei signierten Fotos von meist vergessenen Hollywood-Stars der 1950er. Das überlappend aufgeklebte obere Bild gibt durch einen Ausschnitt in Silhouetten-Form den Blick aufs untere frei – das stets so platziert ist, dass die Linien beider Gesichter scheinbar ineinander übergehen: Plötzlich blickt aus dem kantigen Gesicht Guy Rolfes das kühle rechte Auge der Virginia McKenna, und dass sein linkes Lid sich in dem ihren fortsetzt, reicht dem Hirn, um ständig zu versuchen, die beiden Köpfe zu nur einem zu verschmelzen – trotz ihrer offensichtlichen Unvereinbarkeit.
Die Beschädigung verblasster Idole, ihre Sublimation und magische Vermählung – es ist eine ganze Wolke surrealer Assoziationen, die diese Bilder im Kopf aufreißen. Und seien es bloße Schwindelgefühle – nur dass sie nichts auslösen, scheint unmöglich. bes
Bis 9. November