piwik no script img

Stille Tage auf der Transromanica

Serbien möchte den Tourismus fördern und setzt dabei unter anderem auch auf die klösterliche Kultur. Doch die Pläne der Regierung in Belgrad stoßen in den orthodoxen Klöstern im Westen des Landes nicht nur auf Zustimmung

TRANSROMANICA

Die Transromanica ist eine europäische Kulturroute zu romanischer Baukunst. Sie führt von Spanien bis nach Serbien, über Frankreich, Italien, Österreich und Slowenien. Serbien ist seit 2007 mit dabei, inzwischen haben auch Ungarn, Tschechien, Kroatien und Montenegro Interesse bekundet. Im vergangenen Jahr wurde der Internationale Transromanica-Verein gegründet. Ziel ist es, die regionale Entwicklung zu stärken und den räumlichen Zusammenhalt der EU auf der Grundlage eines gemeinsamen kulturellen Erbes zu fördern. Weitere Informationen unter www.transromanica.de.

Die Romanik ist die erste große europäische Kunst- und Geistesrichtung nach dem Ende des Römischen Reiches im 6. Jahrhundert. Diese Epoche wird – mit regionalen Unterschieden – etwa zwischen dem Jahr 1000 und 1300 angesiedelt. Als Kennzeichen der Architektur von Klöstern und Kirchen gelten Rundbögen. Die Kathedralen symbolisieren das Ineinanderfließen von Endlichkeit und Unendlichkeit, während die Klöster ins Land ausstrahlten und dort bedeutende Kulturinseln anlegten.

Nach einem deutschsprachigen Reiseführer für Serbien muss man schon suchen. Immerhin hat der Trescher-Verlag mit „Serbien entdecken, 2006, 19,95 Euro, einen Band herausgegeben. Neben der Vorstellung der einzelnen Regionen des Landes, ihren Sehenswürdigkeiten und praktischen Tipps enthält das Buch eine ausführliche Einleitung über Land und Leute, Geschichte und Kultur. Der Balkanstaat als Teil Jugoslawiens und Serbien als eigener Staat wird allerdings nur auf zwei Seiten abgehandelt, die Rolle der Regierung in Belgrad während der jüngsten Kriege – irreführend als „Bürgerkrieg“ zwischen Serbien und Kroatien bezeichnet – nur kurz gestreift.

Wer mehr über das Serbien von heute wissen möchte, kann zu dem Buch „Serbien nach den Kriegen“ (Edition Suhrkamp, 2008, 13 Euro) greifen. Die Aufsatzsammlung, in der auch serbische Autoren und Autorinnen zu Wort kommen, gibt einen vielfältigen und guten Überblick über Politik und Befindlichkeit des Landes.

Wissenschaftlich angelegt ist das Werk von Holm Sundhaussen „Geschichte Serbiens“, 2007, Verlag Böhlau, 59 Euro. Das Buch gibt einen Überblick über die Entwicklung des Landes in all ihren Facetten seit dem 19. Jahrhundert. B.S

VON BEATE SEEL

Ein rechteckiger Glocken- und Wachturm thront über dem Haupteingang des orthodoxen Klosters Studenica in Westserbien. Der Blick fällt sogleich auf die massive Muttergotteskirche im romanischen Stil, dem größten der drei Gotteshäuser, deren farbenprächtige Fresken gerade restauriert werden. Im gepflegten Innenhof, der von einer mit Ziegeln bedeckten Natursteinmauer umgeben ist, gedeihen Flieder, Rosen, Lilien und Kirschbäume. Felder, auf denen Getreide oder Mais wächst, umgeben die Anlage und gehen über in Wälder, hinter denen sich die bis zu 2.000 Meter hohen Gipfel des Stari-Vlah-Gebirges bis zum Horizont erheben.

Studenica ist eines der bedeutendsten mittelalterlichen Klöster Serbiens. Begonnen wurde der Bau im12. Jahrhundert. Der heilige Sava, eine der herausragendsten Persönlichkeiten des serbischen Mittelalters, wirkte hier von 1208 bis 1215 als Vorsteher. Heute ist es eines von schätzungsweise hundert noch aktiven orthodoxen Klöstern; neun Mönche und sieben Novizen leben hier. Zwischen den Städten Kraljevo, 170 Kilometer südlich von Belgrad gelegen, und Novi Pazar, unweit der Grenze zum Kosovo, liegen viele dieser Klöster. Die Region ist Teil der „Transromanica“, einer europäischen Kulturroute, die sich dem romanischen Erbe Europas widmet.

Der Besuch einer deutschen Journalistengruppe in Studenica fängt nicht gerade glücklich an. Der englischsprachige Mönch, der durch die Anlage führen sollte, hat sich kurzfristig in den Urlaub abgemeldet. Und der Abt, mit dem ebenfalls ein Gesprächstermin vereinbart worden war, nimmt gerade an einer Sitzung teil, von der niemand sagen kann, wie lange sie dauern wird. Die Begegnung mit dem Abt ist der Gruppe deshalb wichtig, weil die durchaus kundigen Mönche und Nonnen in anderen Klöstern ungern auf Fragen antworten, die über Kunsthistorisches hinausgehen. Einzelne möchten ihren Namen nicht nennen, „um nicht aus der Gemeinschaft hervorzutreten“. Ist es nun Zufall oder Absicht, dass die Gesprächspartner in Studenica nicht zur Verfügung stehen? Fühlen sich die Mönche in ihrer abgeschiedenen Lebensform von Besuchergruppen gestört? Oder liegt das Problem etwa daran, dass die Gruppe aus Deutschland kommt?

In vorangegangenen Gesprächen wurde immer wieder die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs angesprochen, die Teilnahme Deutschlands am Nato-Krieg gegen Serbien und die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch die Bundesregierung – manchmal sachlich, manchmal mit einem ausgesprochen bitteren Unterton. „Es macht euch im Westen ja nichts aus, wenn man uns etwas abschneidet“, sagte etwa der 58-jährige Kustos des Klosters Zica, Rados Rakus. Er meint natürlich das Kosovo.

Doch schließlich klappt in Studenica doch noch alles. Ein ehemaliger Novize und Gast des Klosters erklärt sich bereit, die Besucher zu führen, eine Teilnehmerin übersetzt aus dem Serbischen ins Deutsche – nicht das einzige Mal während der viertägigen Reise, dass jemand aus der Gruppe dolmetschen muss. Abt Tihon empfängt schließlich doch noch in einem Besucherraum. Der Wohnzimmerschrank ist neben Büchern auch mit Gläsern und Alkoholika gut bestückt. Einige der Gäste ziehen türkischen Kaffee vor – „nicht türkischer, wir sagen einheimischer“, korrigiert der Abt.

Abt Tihon, in schwarzer Kutte und mit Vollbart, ist 36 Jahre alt, hat Malerei in Belgrad studiert und lebt seit 12 Jahren im Kloster. Abt ist er seit vier Jahren. Wie sieht er die Aufgabe der serbischen Orthodoxie in dieser Zeit der Kriege und Umbrüche im ehemaligen Jugoslawien? Für den Abt ist die Mission seiner Kirche in Krieg- und Friedenszeiten die gleiche. „Man darf die serbische Orthodoxie nicht so verstehen, dass sie der Nation dient“, sagte er und weist darauf hin, dass die Orthodoxie nicht nach Nationen, sondern nach Patriarchatssitzen organisiert ist. „Wir sind Serben, gut, aber das Christentum ist auf einer höheren Ebene angesiedelt.“

Unversehens fühlt man sich in die Zeit der Romanik zurückversetzt, der ersten gesamteuropäischen Kultur- und Geistesströmung nach dem Zerfall des Römischen Reiches. Ihrem Verständnis nach ist die eigentliche, entscheidende Realität außerhalb von Raum und Zeit angesiedelt, auf einer „höheren Ebene“ also, wie es sich auch in den monumentalen Kirchen und später in den gotischen Kathedralen widerspiegelt. Diese europäische Dimension sieht Abt Tihon durchaus. „Alles, was es in Europa Gutes gab, manifestiert sich in Studenica“, sagt er und verweist auf die romanische Architektur.

Wie passt das abgeschiedene klösterliche Leben mit der Öffnung zum Tourismus im Rahmen der „Transromanica“ zusammen? Der Abt verweist auf das zum Kloster gehörende Gästehaus, das um ein Restaurant erweitert werden soll. Besucher seien frei, an den Gottesdiensten teilzunehmen, die im Stehen abgehalten werden und bis zu dreieinhalb Stunden dauern können. Eine Integration in das klösterliche Leben mit Übernachtung in den Zellen ist aber nicht vorgesehen. Abt Tihon sieht auch Schattenseiten der neuen Entwicklung: „In einem Kloster, das viel weltliche Programme macht, gibt es bald keine Mönche mehr“, gibt er zu bedenken. „Wir betreiben keinen Ausschluss, aber wir sind Menschen, die als Mönche den Stress der Welt hinter uns gelassen haben. Das Mönchsein ist uns wichtig, aber Mönche haben auch Einfluss auf die Welt, zum Beispiel, wenn sie anderen Menschen helfen.“

Westserbien ist eine arme, vernachlässigte Region. Die kleinen Dörfer mit ihrer Blumenpracht in den Vorgärten, dem Gemüse und Obst für den Eigenverbrauch liegen gegen Abend wie ausgestorben da. Nur in etwas größeren Ortschaft sitzen Männer im Café, während Frauen Einkaufstüten nach Hause schleppen. Viele Familien haben hier Angehörige in den jüngsten Kriegen verloren, als die Männer in der serbischen Armee oder einer der Milizen für ein Großserbien kämpften. Alkoholismus ist weit verbreitet. Gelegentlich sieht man Anti-EU-Aufkleber. Eine touristische Erschließung der Region würde Arbeitsplätze schaffen und neue Perspektiven bringen. Allerdings muss dafür noch viel getan werden. Das Verkehrsnetz ist schlecht ausgebaut, und abgesehen von Kurorten oder größeren Städten sind Restaurants und Übernachtungsmöglichkeit dünn gesät. Diese Probleme kennt Gordona Plamenac zur Genüge. Sie ist seit gut einem Jahr Geschäftsführerin der Nationalen Tourismusorganisation Serbiens (NTOS). Für Plamenac, deren verstorbener Mann Deutscher war, steht und fällt ihre Arbeit mit der Perspektive einer Mitgliedschaft Serbiens in der EU.

In einem Belgrader Restaurant zählt die engagierte Touristikerin die Vorteile auf: Das Image Serbiens würde sich verbessern, europäische Standards im Rechtssystem, der Verwaltung, im Schulsystem eingeführt, die Infrastruktur ausgebaut … Sie kann sich gar nicht mehr bremsen, auch wenn sie die Probleme sieht, wie die geforderte Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher an das Tribunal in Den Haag oder die Kontroverse um das Kosovo. Aber: „Ich lebe für den Moment, wo alle diese Dinge gelöst sind“, sagt sie und fügt hinzu: „Natürlich können wir auch alleine leben, aber das ist nicht die Philosophie der Menschen. Irgendwann werden wir alle Mitglied der EU sein, sogar das Kosovo.“

Neben dem Problem der EU-Mitgliedschaft kennt die engagierte Tourismus-Managerin auch die zweite große Herausforderung für ihre Arbeit: Mit der langen kroatischen Adria-Küste kann das Land nicht konkurrieren. Ihr Job ist es, für Serbien ein eigenes touristisches Profil zu entwickeln, und da kommt ihr das Transromanica-Projekt, an dem sich Serbien seit 2007 beteiligt, gerade recht. Donaukreuzfahrten mit Ausflügen ins Land, die Vermarktung der Kurorte, Wandern, Radfahren entlang des inzwischen bis zum Mündungsdelta ausgebauten Donauweges – das sind ihre Projekte. „Nischentourismus“ nennt sie das. Plamenac referiert die Erfolge: Über zwei Millionen Touristen im vergangenen Jahr, davon 700.000 Ausländer, das bedeutet eine Steigerung von 30 Prozent im Vergleich zu 2006. Vor allem Franzosen und Russen kämen, aber auch etwa 30.000 bis 40.000 Deutsche. Nun soll der Kulturtourismus verstärkt beworben werden.

Und die Klöster in Westserbien? „Die Mönche halten eine gewisse Distanz zu den Besuchern, sie wollen in ihrer Lebensart nicht gestört werden“, sagt sie im Hinblick auf die Erfahrungen der Journalistengruppe. Doch wenn es nach Gordona Plamenac geht, werden sich die Mönche von Studenica und in den anderen Klöstern umstellen müssen

Diese Reise wurde ermöglicht von der Nationalen Touristenorganisation Serbien (NTOS), www.serbia.travel.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen