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Archiv-Artikel

„Frühzieher kriegen bessere Weibchen“

Auch Zugvögel reagieren auf den Klimawandel: Jahr für Jahr kehren sie früher aus ihren Winterquartieren ins sich erwärmende Nordeuropa zurück. Ommo Hüppop, Leiter der Helgoländer Vogelwarte, wo jährlich 26.000 Zugvögel beringt werden, erklärt, warum das für die Evolution von Vorteil sein kann

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Hüppop, warum braucht das winzige Helgoland eine eigene Vogelwarte?

Ommo Hüppop: Weil Helgoland ein exzellenter Ort ist, um den Vogelzug zu untersuchen. Hier brüten fast keine Landvogelarten. Das heißt: Alle Vögel, die wir hier in die Hand bekommen und beringen, sind Vögel auf dem Zug. Bei Fangstationen auf dem Festland weiß man dagegen nie, ob man nicht den Brutvogel aus Nachbars Garten vor sich hat.

Welche Vogelarten rasten bei Ihnen?

Auf Helgoland rasten hauptsächlich Vögel aus Skandinavien, die im Herbst vom Nordosten in den Südwesten ziehen. Die Kurz- und Mittelstreckenzieher steuern zum Überwintern Ziele zwischen Niedersachsen, dem Mittelmeerraum und Nordafrika an. Die Langstreckenzieher fliegen teils bis ins südliche Afrika weiter.

Alle von Ihnen beobachteten Arten kommen in etwa acht Tage früher aus dem Süden zurück als vor 50 Jahren. Warum?

Wir erklären uns das mit dem Klimawandel. Konkret hängt das mit den Temperaturen in den einzelnen Regionen zusammen. In Mittel-, West- und Nordeuropa stiegen die Temperaturen im Winterhalbjahr und im zeitigen Frühjahr seit Jahren. Mit dem Frühjahr verfrühen sich die Entwicklung von Vegetation und das Angebot an Insekten – Hauptnahrung der Vögel. Es ist also folgerichtig, dass sie früher in ihre Heimatgebiete ziehen. Außerdem herrscht im Frühjahr ein hoher Selektionsdruck: Wer früh in den Brutgebieten ankommt, sichert sich die besten Reviere – und damit die besten Weibchen, für die die Qualität des Reviers Hauptkriterium bei der Partnerwahl ist. Alles zusammen heißt viele fitte Nachkommen.

Was bedeutet die frühe Ankunft in Europa für die Brut?

Die Vögel haben mehr Zeit zum Brüten und können eventuell ein zweites oder gar drittes Gelege ausbrüten. Tatsächlich beobachten wir bei vielen Arten, dass der Jungvogelanteil zugenommen hat, besonders bei Kurz- und Mittelstreckenziehern. Das sind Arten der Wald- und Gartenzone wie Amsel und Drossel sowie, bei den Langstreckenziehern, Gartenrotschwanz und Trauerschnäpper. Trotzdem sind unsere Fänge von Langstreckenziehern im Vergleich zu den Kurzstreckenziehern weniger geworden. Auch das erklären wir uns mit dem Klimawandel: Im Mittelmeerraum und in Afrika haben die Niederschläge in den letzten Jahren drastisch abgenommen, und wir können nachweisen, dass hier ein Zusammenhang mit unseren Fangzahlen besteht. Wenn es also in den letzten Jahren im Mittelmeerraum wenig geregnet hat, gab es wenig Vegetation und wenig Insekten. Damit hatten die Vögel dort nicht so gute Überwinterungs- und Durchzugsbedingungen. In der Folge kamen weniger von ihnen in Mitteleuropa an.

Bedeutet die Aufzucht einer zweiten Brut mehr Stress?

Wahrscheinlich setzt der höhere Energieaufwand die Lebenserwartung der Altvögel tatsächlich herab. Andererseits sind die Arten, die das betrifft, ohnehin kurzlebig. Das heißt, sie sind darauf ausgerichtet, in kurzer Zeit möglichst viele Nachkommen zu produzieren, denn das zählt in der Evolution.

Woher wissen die Vögel, die in Südafrika überwintert haben, wann es in Europa Frühling wird?

Sie haben eine innere Uhr, die ihnen vermutlich sagt, wann sie losfliegen müssen.

Die informiert aber nicht über das Wetter in Europa.

Nein, und in der Tat hat uns gewundert, dass die südlich der Sahara überwinternden Langstreckenzieher im gleichen Maße verfrüht auf Helgoland ankommen wie Kurz-und Mittelstreckenzieher. Dass sie sich trotzdem verfrühen, liegt wohl daran, dass die Transsahara-Zieher in Europa schneller durchziehen können, weil es inzwischen weniger Kälteeinbrüche gibt, die sie etwa im Mittelmeerraum festhalten. Abgesehen davon ziehen nicht alle Individuen einer Art gleichzeitig: Bei einem Vogel sagt die innere Uhr, du ziehst am 2. April los, beim anderen ist es der 4., beim dritten der 12. April. Eine gewisse Streuung jedes Merkmals ist innerhalb einer Population genetisch festgelegt. Und hier liegt auch der genetische Anpassungsspielraum: Da die Frühzieher früher in den Brutgebieten ankommen, können sie mehr Nachkommen großziehen. Das wiederum bedeutet, dass es in der nächsten Generation überproportional viele Individuen mit den Frühzieher-Genen gibt. So kann mittelfristig genetisch fixiert werden, dass sich die Abflugzeiten in Afrika vorverlagern.

Wenn es in Europa länger warm ist: Fliegen die Vögel dann im Herbst auch später nach Süden?

Zunächst einmal: Die Sommer- und Herbsttemperaturen in Skandinavien sind im Vergleich zu den Temperaturen im Winter und im zeitigen Frühjahr kaum oder gar nicht gestiegen. Wir haben entsprechend vor allem bei den spät ziehenden Arten beobachtet, dass sich ihr Durchzug bei uns verspätet hat. Man muss dabei aber auch berücksichtigen, dass Vögel im Herbst ohnehin weniger Zeitdruck haben, weil sie da unten ja nicht um Brutreviere kämpfen müssen. Sie können also in Ruhe warten, bis sie Rückenwind haben und dann energieoptimiert fliegen.

Fliegen alle Individuen einer Art gleichzeitig in den Süden?

Nein, das kann gestaffelt sein. Bei der Amsel ziehen zum Beispiel zuerst die Jungvögel, dann die Weibchen und zum Schluss die alten Männchen. Das sind robuste, 120 Gramm schwere Vögel, die aus Skandinavien nur wegziehen, wenn es da extrem kalt wird oder viel Schnee fällt.

Gibt es Arten, die ihre Zugzeiten nicht an den Klimawandel anpassen können?

Wenn sich die Klimaveränderung verstärkt, ist es möglich, dass eine Art, bei der die genetische Anpassung nicht schnell genug geht, den Anschluss verliert. Dazu könnte der Trauerschnäpper gehören. Auf Helgoland beobachten wir zwar, dass auch er verfrüht durchzieht. Kollegen in niederländischen Brutgebieten haben aber anderes beobachtet: Auch dort ist es zwar zur Brutzeit wärmer geworden, so dass das Nahrungsangebot für die Vögel früher da ist. Dort schafft es der Trauerschnäpper aber nicht, mit der Verfrühung der Vegetation Schritt zu halten. Er kommt zu spät an, verpasst dadurch das Hauptnahrungsangebot und kann weniger Nachwuchs aufziehen. Die Bestände gehen zurück. Die Erklärung für diesen Widerspruch könnte darin liegen, dass Trauerschnäpper kaum über die Südwestroute nach Europa fliegen, sondern über Italien, also über die Alpen. Im Alpenraum ist es gerade dann, wenn der Trauerschnäpper durchzieht, nicht wärmer geworden. Der Vogel findet dort also eine „Temperaturbarriere“ vor, die ihm vorgaukelt, dass in Europa noch nicht Frühling ist. Auf Helgoland dagegen rasten Trauerschnäpper, die über die südwestliche Route ziehen. Dort gibt es keine solche Temperaturbarriere.

Fotohinweis:OMMO HÜPPOP, 52, leitet seit 1988 die Helgoländer Station des Instituts für Vogelforschung. FOTO: PRIVAT