: Von Münster nach Kabul
Münsteraner Friedensgruppen kritisieren den Einsatz des 1. Deutsch-Niederländischen Korps als Isaf-Führungstruppe in Afghanistan: „Hier wird den USA militärisch der Rücken freigehalten“. Daheim stellt das Korps „Familienbetreuer“
aus Münster MARCUS TERMEER
Die Neujahrsruhe, die beim 1. Deutsch-Niederländischen Korps in Münster noch herrscht, wird bald verflogen sein. Im Februar soll das Korps die Führung der Internationalen Schutztruppe (Isaf) in Kabul übernehmen. Nach dem niederländischen Parlament hatte der Bundestag am 20. Dezember dazu deutlich Ja gesagt.
Das Korps wurde im August 1995 in Münster vom damaligen Kanzler Helmut Kohl und dem niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok in Dienst gestellt. Inzwischen ist es als eines von sechs Nato-Hauptquartieren zuständig für die „High Readiness Forces“, die schnellen Eingreiftruppen, die weltweit binnen 20 bis 30 Tagen einsetzbar sind. Die „schnell verlegbaren Hauptquartiere“ der Nato sollen in Krisenfällen „bis zu 60.000 Soldaten im Einsatz führen können“, schreibt das Bundesverteidigungsministerium. „Ready for Action“, wirbt denn auch das 1. Korps für sich.
Münsteraner Friedensgruppen wollen sich mit der Selbstverständlichkeit nicht abfinden, mit der vor allem die Grünen im Bundestag dem Einsatz in Afghanistan zugestimmt haben. Hier werde „den USA der Rücken freigehalten“, so Kathrin Vogler vom „Friedensforum“. Dieter Keiner vom „Aktionsbündnis gegen den Krieg“ sieht „einen weiteren Schritt in der strategischen Integration Münsters ins neue Nato-Kriegskonzept“. Derartige Auslandseinsätze dienten der „Ausdifferenzierung von Strategien der neuen Kriegspolitik“.
Alfons Kleine Möllhoff vom „Aktionsbüro für Afghanistan“ der Friedensinitiative Nottuln setzt einen andern Akzent. Sein Büro arbeitet seit einem Jahr mit der oppositionellen afghanischen Frauengruppe Rawa zusammen. Die habe stets internationale Friedenstruppen befürwortet, besonders auch in den Provinzen, um dort die Herrschaft der allerdings meist „von den USA instrumentalisierten“ Warlords zu beenden. Einerseits. Zugleich bleibe Rawa in klarer Distanz zur Nordallianz-dominierten Karsai-Regierung und so auch skeptisch gegenüber Isaf.
Der Münsteraner Abgeordnete und sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, will sich von den Gruppen ungern daran erinnern lassen, da er selbst noch, Anfang der 1980er-Jahre, gegen das 1. Korps und die Münsteraner Tradition als Militärstandort demonstriert hat. Militär- und Imperialismuskritik, sagt er, bleibe berechtigt, dürfe aber den „teilweisen Funktionswandel von Militär“ nicht ignorieren. Er erkennt nach einem Kabul-Besuch des Verteidigungsausschusses mit Außenminister Joschka Fischer vor einigen Wochen „erstaunlich positive Ergebnisse“ der Isaf-Truppe, ohne die der Friedensprozess schnell zusammenbräche.
Auch der Kommandeur des 1. Korps, Norbert van Heyst, war im November mit einem Erkundigungsteam in Kabul. Wichtig sind ihm eine „gleitende Übernahme“ und die zivil-militärische Kooperation mit UN, Rotem Kreuz und der Regierung Hamid Karsais, besonders beim Aufbau von Armee und Polizei. Je ein Versorgungs- und Fernmeldebataillon sollen Sanitätsdienst, Versorgung, Transport und Kommunikation sicherstellen. Zudem soll die deutsche Luftwaffe mit 500 Soldaten den Kabul International Airport betreiben.
Der sechsmonatige Einsatz gilt als heikel bis gefährlich. So stellt das Korps laut Presseoffizier Thomas Löbbering „Familienbetreuer“. Die sollen etwa zurückbleibende Ehefrauen bei Alltagsproblemen unterstützen, Kontakte nach Kabul herstellen oder erklären, was die Männer dort „eigentlich tun“. Diese wiederum werden seit Monaten auf ihren Einsatz vorbereitet: Deeskalationstraining, Umgang mit Demonstrationen etwa gegen die Isaf-Truppen und so weiter.
Die Münsteraner Friedensgruppen arbeiten derweil weiter gegen eine versuchte „Militarisierung“ des Münsteraner Alltags durch Heeresschauen, Zapfenstreiche und zivil-militärische „Abendmärsche“.