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Archiv-Artikel

Der Angeklagte: „Ich bin normal“

Prozessbeginn: Vier junge Männer sollen Aussiedler mit Feldstein erschlagen haben

NEURUPPIN taz ■ Keineswegs wollen die fünf Angeklagten vor der Jugendkammer des Landgerichts Neuruppin mit Rechten gleichgesetzt werden. „Ich bin normal“, antwortet der 21-jährige Hauptbeschuldigte Marco F. auf die Frage der Vorsitzenden Richterin nach seiner politischen Orientierung. Regelmäßiger Haschisch-, Alkohol- und Speedkonsum, am Wochenende Techno-Diskos, Bundeswehr und Zivildienst, Realschul- und Hauptschulabschlüsse, Lehrstellen und Jobs, kurze und halblange Haare, Ohrringe: Es sind ganz normale junge Männer aus dem brandenburgischen Wittstock, denen die Staatsanwaltschaft Neuruppin gemeinschaftlichen Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorwirft und die gestern aus der Untersuchungshaft vorgeführt wurden.

Sie sollen im Mai vergangenen Jahres den 24-jährigen Russlanddeutschen Kajrat Batisov nach einem Diskobesuch getötet und seinen russlanddeutschen Begleiter schwer verletzt haben. Marco F. legte gestern vor Gericht ein Teilgeständnis ab: Er sei „total ausgerastet“, als Batisovs Begleiter ihn und die Mitangeklagten morgens um 4 Uhr nach dem Ende der Techno-Veranstaltung um Zigaretten bat. „You go“, habe er dem Russlanddeutschen auf Englisch gesagt. „Ich wollte, dass er geht und habe ihn verwiesen“, sagt Marco F. selbstbewusst. Dann sei zugeschlagen worden. Marco F. räumt ein, mindestens zehn Mal auf das am Boden liegende Opfer eingetreten zu haben. Obwohl er behauptet, „Kokain- und Alkoholkonsum“ hätten sein Erinnerungsvermögen erheblich vermindert, weiß er zwei Sachen angeblich ganz genau: Weder habe er gegen den Kopf des Opfers getreten, noch den 17 Kilogramm schweren Feldstein, der zu Kajrat Batisovs tödlichen inneren Verletzungen führte, auf den Brustkorb des Opfer geworfen.

Rund 40 Zeugen sollen in den nächsten Wochen vor dem Landgericht die Identität des Steinewerfers und weitere offene Fragen aufklären. Zum Beispiel nach dem Motiv. Bislang vermutet die Staatsanwaltschaft Fremdenfeindlichkeit, da Zeugen unter anderem den Ausruf „Scheiß Russen“ hörten. Die Motivsuche erschwert bislang, dass die Diskobesucher beharrlich schweigen. 30 bis 40 junge Frauen und Männer sahen zu, wie die Gruppe Kajrat Batisov und seinen Begleiter angriff. Nur eine junge Frau soll „lasst das, ihr schlagt den doch tot“ gerufen haben.

Einige aus der Techno-Szene sitzen nun auf den überfüllten Zuschauerbänken des Gerichts. Achtlos gehen sie an Raissa Batisov vorbei. Die Mutter des Getöteten sitzt als Nebenklägerin der Anklagebank gegenüber. Wittstock hat sie nach dem Tod ihres Sohnes längst verlassen.

HEIKE KLEFFNER