: Mit den Gedanken sonst wo
Trotz leichter Abwesenheit am Schießstand gewinnt der Norweger Björndalen beim Biathlon-Weltcup in Oberhof auch den Massenstart. Die deutschen Männer kommen später, dafür gewinnt Uschi Disl
aus Oberhof MARKUS VÖLKER
Der Mann aus dem norwegischen Dorf Simostranda, vom König des Landes mit dem Titel „ein großer Norweger“ versehen, ist derzeit kaum zu schlagen. Wie schon das Sprintrennen am Donnerstag gewann Ole Einar Björndalen (28) gestern vor 13.000 Zuschauern im Oberhofer Biathlonstadion auch das Massenstart-Rennen, zu dem die besten 30 des Weltcups angetreten waren. Auf Platz zwei kam der Weißrusse Wladimir Dratschew vor dem Franzosen Raphael Poirée. Björndalen unterliefen nur zwei Fehlschüsse im Stehend-Anschlag, „für mich ist das eine gute Leistung“, sagte Björndalen, obwohl er damit immer noch unzufrieden war. „Ich dachte, ich wäre allein vorn, dann kam Dratschew und ich war mit den Gedanken sonstwo, nur nicht am Schießstand.“
Björndalen ist als hervorragender Langläufer bekannt. In den vergangenen zwei Wintern probierte er sich bei den Spezialisten aus, im finnischen Kuopio wurde er sogar Zweiter über 10 Kilometer Freistil. Zurzeit habe er aber nicht vor, zu den Langläufern zu wechseln, sagte er, „ich bin momentan zu schlecht“. Dafür trumpft der „Außerirdische“, wie ihn Ricco Gross einmal bezeichnete, mit dem Kleinkalibergewehr unerwartet auf. Eine Erkältung hatte Björndalen, trotz seiner täglichen Rachenspülungen mit hochprozentigem Alkohol, beim Weltcup in Osrlbie (Slowakei) gehandicapt, was ihn freilich nicht davon abhielt, nun die Konkurrenz Oberhof zu dominieren – gemeinsam mit Raphael Poirée. „Dieses Jahr sind die Rollen vertauscht“, sagte der im Weltcup führende Franzose, der offenbar in der besseren Laufform ist. Obwohl Poirée zwei Strafrunden mehr drehen musste, hatte er im Ziel nur einen Rückstand von 19,4 Sekunden auf den Norweger. In der Wolfsschlucht stellte Poirée mit 80 km/h sogar einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf. „Ich bin ziemlich fett“, begründete er danach sein alpines Können , „so dass ich eben auf solche Geschwindigkeiten komme.“
Björndalen riet dem laufstarken Konkurrenten: „Er sollte zu den Spezialisten wechseln, Raphael ist derzeit einfach stärker in der Loipe als ich.“ Vor einem Jahr verpatzte der Norweger seine Auftritte in Oberhof, zog sich nach Antholz zurück, trainierte dort allein für Olympia – und gewann in Salt Lake City vier Goldmedaillen. Die Erfolge brachten ihm drei neue Sponsoren ein. Es hätten mehr sein können, aber er sagt, dass das Training dann gelitten hätte. Obendrein betont er immer wieder, dass es ihm beim Biathlon um den Spaß gehe. „Ich betreibe Biathlon als Hobby, es soll nicht zu einer Arbeit für mich werden.“
Auf Bundestrainer Frank Ullrich wird indessen einige Arbeit zukommen. Nur die Ruhpoldinger Ricco Gross und Michael Greis sowie der Oberhofer Sven Fischer landeten am Grenzadler in den vorderen Rängen. Der Rest des Teams läuft lediglich im Mittelfeld. Die Staffel kam am Samstag nur auf Rang sechs – nach einer misslungenen Schießeinlage von Ricco Grosss. In Erinnerung wird auch das Missgeschick von Frank Luck bleiben, der sein Magazin mit nur zwei Patronen füllte und im Sprintwettbewerb weit zurückfiel. Gross kam gestern als bester Deutscher auf den 7. Platz. „Es kann nur über die Forcierung der Laufleistung gehen, damit die Athleten auch wieder zur komplexen Biathlonleistung finden“, sagte Ullrich. Sie müssen also schneller laufen, damit es am Schießstand klappt. Das Team liege „eigentlich noch im Plan“, meinte er. Bevor es im März zur WM nach Sibirien geht, stehen noch fünf Weltcups an, man müsse gelassen bleiben. Und Ullrich weiter: „Wir brauchen jetzt Ruhe, das Trainergespann mit mir und Fritz Fischer muss erst zusammenwachsen, die Mannschaft braucht noch ein bisschen Zeit.“ Fritz Fischer ersetzte den vor Saisonbeginn zu den Österreichern gewechselten Klaus Siebert als Ko-Trainer.
In der besseren Position ist Ullrichs Kollege Uwe Müssiggang, Trainer der Frauen. Uschi Disl siegte am Sonntagmittag im Massenstart-Rennen. Dabei schien es zunächst ähnlich schlecht wie zuletzt weiterzugehen. Es begann mit zwei Schießfehlern. „Vielleicht waren diese Fehler gut für sie“, vermutete Müssiggang, „sie hat sich danach nämlich gesagt: ‚Okay, jetzt ist das Rennen eh gelaufen, dann kann ich auch locker rangehen‘ “.
Bei Disl klappte dieser paradoxe Psychokniff, unter „Uuuuschiiii“-Rufen skatete sie zu ihrem 21. Weltcup-Sieg. „Das hab ich mal wieder gebraucht“, sagte die 32-Jährige, „ich musste zuletzt ganz schön einstecken, manch einer hat sogar gesagt, ich solle aufhören – und jetzt das.“ Obwohl Disl die Anfeuerungen der Fans gar nicht hörte („Zum Schluss habe ich nur mit mir allein geredet“), lobte sie das Oberhofer Publikum in den höchsten Tönen. Auch Ole Einar Björndalen hielt da mit. „Oberhof und Antholz sind meine besten Stadien“, sagte er, „ich habe mich wie in Norwegen gefühlt.“