: Das Verschwinden der Redakteure
JournalistInnen bei Tageszeitungen müssen sich wohl mit einem Tarifabschluss zu Verlegerbedingungen abfinden. Ein internes Gewerkschaftspapier konstatiert parallel gesellschaftlichen Bedeutungsverlust: „Redakteure werden nicht mehr gebraucht“
von THILO KNOTT
Die großen Gewerkschaften in Deutschland haben ihre Lohntarifverhandlungen allesamt abgeschlossen. Nur diejenigen, die über Lohnforderungen, Schlichtung oder Pilotabschluss berichtet haben, stehen weiter mit leeren Händen da – die 15.000 RedakteurInnen der deutschen Tageszeitungen. Seit fast einem Jahr sitzen sich die Ver.di-Untereinheit Deutsche Journalisten Union (dju) und der Deutsche Journalisten Verband (DJV) auf der einen und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf der anderen Seite gegenüber. Alle bislang sechs Verhandlungsrunden blieben ohne Ergebnis. „Eine historische Höhe“, heißt es auf beiden Seiten.
Starrsinn regiert in beiden Lagern: Die Verleger verweisen auf die „wirtschaftliche Lage“, die bekanntermaßen „nicht rosig ist“ (BDZV-Mann Burkhard Schaffelt). Die Arbeitnehmerseite gibt zurück, da würde wohl eher die „Gunst der Stunde“ genutzt und versucht, „angesichts vorhandener Ängste um die Zukunft der redaktionellen Arbeitsplätze massiv Tarif- und Einkommensverschlechterungen durchsetzen“ (Ver.di-Medienchef Frank Werneke).
Doch die anstehende siebte Verhandlungsrunde wird vermutlich die letzte sein – und zumindest Ver.di scheint bereit, das BDZV-Angebot anzunehmen. Danach bliebe maximal eine Lohnerhöhung von 2,1 Prozent, diese Verhandlungsposition sei sogar „nach unten ergebnisoffen“, heißt es in Gewerkschaftskreisen, damit der Abschluss endlich zustande kommt.
Tarifloser Zustand
Hintergrund für so viel Einlenken: Es geht längst nicht mehr nur um die Gehälter, sondern um die Arbeitsbedingungen für Zeitungsjournalisten insgesamt. Sie sind im Manteltarifvertrag geregelt, und den hatten die Verleger schon im Sommer 2002 gekündigt. Zum Jahresende ist er ausgelaufen. Ver.di-Verhandlungsführer Werneke sieht nun die Gefahr, dass die Verleger „den tariflosen Zustand nutzen, um Redakteurinnen und Redakteure zu Dumpingpreisen einzustellen“. Der BDZV bestätigt, dass für die Verleger „untertarifliche Verträge jetzt möglich“ sind, betont aber, dass dies bislang „keine Praxis“ sei.
Die nun anstehenden Verhandlungen dürften sich nicht minder langatmig gestalten als jene um die Löhne. Das Paket umfasst unter anderem Regelungen zu Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Arbeitszeitverkürzung sowie der tarifrechtlichen Stellung von Fotoredakteuren. Erst am Mittwoch hatte das Bundesarbeitsgericht geurteilt, dass Verleger ihre Redakteure verpflichten können, neben Texten auch gleich Fotos mitzuliefern. Zumindest solange deren Arbeitsvertrag zum Begriff „Redakteur“ – wie bei den meisten JournalistInnen – keine entsprechenden Einschränkungen enthält.
Bedeutungsverlust
Doch für Ver.di-Tarifkommissionsmitglied Siegfried Heim bahnt sich über diese aktuellen Probleme hinaus ein genereller Wandel an: „Redakteure werden nicht mehr gebraucht“ heißt sein Diskussionspapier – und sorgt allseits für Ernüchterung. Heim ist Lokalredakteur und Betriebsratsvorsitzender der Neuen Pressegesellschaft Ulm (Südwestpresse-Verbund, Neue Württembergische, Schwäbische Donauzeitung). Und durfte jüngst einen zehnprozentigen Personalabbau abwickeln. Obwohl die Neue Pressegesellschaft 2002 eine „schwarze Null“ geschrieben habe. Und obwohl Südwestpresse-Verleger Eberhard Ebner noch genügend „Spielgeld“ (Heim) besitze, um über seine Beteiligung an der Südwestdeutsche Medien Holding auch bei der Süddeutschen Zeitung mit einzusteigen.
In seiner Denkschrift konstatiert Heim einen generellen Bedeutungsverlust der Journalisten: „Die Redakteure müssen (…) damit rechnen, in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten, von den Verlegern genauso behandelt zu werden wie andere Arbeitnehmer auch.“ In den Verlagen hätten sie bis dato „gute Gehälter“ bekommen, weil sie bisher den vor allem Zeitungsherstellung und -technik betreffenden Rationalisierungsprozess mitgetragen hätten. Doch jetzt seien nur noch die Redaktionen übrig, wenn es um Einsparungen bei Personalkosten geht. Auch mit Blick auf ihre gesellschaftliche Rolle habe sich der Nutzen der Redakteure für die Unternehmen verringert. Redakteure als „Ideologieproduzenten“ im Verlegersinne, etwa zur „Diskreditierung der angeblich übermäßigen Lohnforderungen der Gewerkschaften“ oder jüngst der Durchsetzung des Bildes vom Arbeitnehmer als „Ich AG“, seien nicht mehr erforderlich. Denn: „Mit Hilfe jahrzehntelanger journalistischer Arbeit haben die Unternehmer die ‚Lufthoheit über den Stammtischen‘ errungen, sind gewerkschaftliche Deutungsmuster fast verschwunden“, schreibt der Gewerkschaftsmann Heim. – Keine günstige Ausgangsposition für Tarifverhandlungen.