: Kopfüber in den Adrenalin-Flash
In Queenstown trifft sich die internationale Backpacker-Szene Neuseelands und stürzt sich ins teure Vergnügen. Die Häuserfassaden der Stadt gleichen riesigen Reklametafeln, ein Stadtbummel bedröhnt wie ein endloser Werbespot
In der Fußgängerzone von Queenstown steht ein einarmiger Bandit. Der nennt sich Geldautomat und dudelt zwar nicht, dafür lockt er aber mit knallbunten Lettern: 24 h cash. Easy, simple, einfach, 1, 2, 3. Fast als wenn man das Geld hier am Automaten gewinnen könnte. Genauso leicht, wie man in Queenstown sein Geld abheben kann, gibt man es auch aus. Keine Stadt der Welt versteht es besser, ihre Gäste zum Hinblättern zu animieren – von Las Vegas mal abgesehen. Queenstown verkauft das Glück – in Überdosen Adrenalin.
Die Abnehmer sind „Backpacker“ aus Übersee, junge Rucksackreisende, die am anderen Ende der Welt ihr Abenteuer erleben wollen. Sie stürzen sich am Gummiband in die Tiefe, rasen mit Düsenantrieb über wildes Wasser, jagen im Hubschrauber durch schmale Schluchten oder im Schlauchboot Stromschnellen hinab. Die Entscheidung trifft der Blick in die Geldbörse: Der Bungee-Jump für 130 neuseeländische Dollar (etwa 80 Euro). Das Jet-Boating für 80 Dollar? Der Heli-Flight für 120 Dollar? Doch nur das White-Water-Rafting für 89 Dollar? Oder doch gleich den Viererpack, den „Awesome Foursome“ – zum Sonderpreis von 260 Dollar?
Die meisten Traveller reisen low budget, also mit begrenzten finanziellen Mitteln, aber dies ist vielleicht die Reise ihres Lebens. Und wenn sie erst auf der südlichen Halbkugel stehen, kopfüber sozusagen, fällt ihnen das Geld leicht aus der Tasche. Marilyn sagt, sie habe schon vergessen, wie viel der Tandemsprung vom Himmel gekostet hat. „Bloody expensive“ sei er natürlich gewesen, gesteht die 21-Jährige, die ihr halbes Jahr in Neuseeland mit Arbeit auf Schaffarmen finanziert. Aber „verdammt teuer“, das sei nicht das, was in der Erinnerung zählt. Sie hat Fotos, die sie ihrer Familie in Bristol, England, zeigen kann, Beweisstücke ihres Muts.
Eine zierliche Person ist darauf zu sehen, die sich an die Seitentür des Flugzeuges klammert. „Das war das Geilste“, schwärmt Marilyn, „langsam zur Erde schweben, nachdem sich der Fallschirm geöffnet hatte, und den Blick schweifen lassen.“
In der Stadt ist die Sicht auf die Kulisse mittlerweile verbaut. Weil den Bewohnern ein steiler Berg im Nacken sitzt, schieben sich ihre Häuser bis an den See heran. Am gegenüber liegenden Ufer bauen sich raue Felswände vor dem glatten Wasserspiegel auf: die Remarkables. Das Gebirge hat meist sogar im Sommer weiße Gipfel, und im Winter, von Juni bis Oktober, reicht der Schnee zum Skilaufen. Ein noch größeres Skigebiet, Coronet Peak, wurde auf der anderen Seite von Queenstown erschlossen. Die Skifahrer und Snowboarder, die zu Tausenden nach Queenstown auf die Südinsel Neuseelands kommen, suchen nicht das Idyll am See. Sie wollen Spaß und Aktion, auch wenn das reichlich kostet. Und schon blitzen in den Augen der Bewohner der ehemaligen Goldgräbersiedlung wieder die Dollarzeichen. „Stellen Sie sich vor, man würde Werbung über die Decke der Sixtinischen Kapelle sprühen“, beschreibt der Reiseführer „Lonely Planet“, was der Touristenboom aus Queenstown gemacht hat. Die Häuserfassaden gleichen Reklametafeln, ein Stadtbummel bedröhnt wie ein endloser Werbespot.
Der kürzeste und heftigste Kick in Town ist der Sprung mit dem Gummiband. Von der so genannten Pipeline geht es mit dem Urschrei in die Tiefe des Skipper Canyon, nach 102 Metern ditschen die Haare auf dem Wasser auf, dann reißt das Seil den schlackernden Körper an den Füßen wieder hoch. Am Kawarau River ist der freie Fall nur 43 Meter lang. Aber dafür ist die Kawarau Bridge das Original. Dort hatte Alan John Hackett 1988 die erste Sprungstation eröffnet. Die Idee zum Bungee-Jumping hat er allerdings auf Vanuatu in der Südsee geklaut. Dort stürzen sich die Jungen schon seit Urzeiten von einem Bambusgerüst, gesichert nur durch eine Lianenschlinge am Fußgelenk. Wer sich traut, darf sich fortan zu den Männern zählen. Hacketts Kunden erhalten ein Zertifikat, das ihnen bescheinigt, „eine Ahnung von der Wirklichkeit und der Verantwortung gegenüber dem Leben“ bekommen zu haben. Und das persönliche Video für 30 Dollar lässt sich auch noch als Beweis des Muts mit nach Hause tragen. Wer nach dem Bungee-Jumping nicht den Absprung aus Queenstown schafft, dessen Finanzen befinden sich bald im freien Fall. Es gibt keine Sehenswürdigkeiten oder Museen, nur die beiden Einkaufsstraßen in der Stadt. Gegen die Langeweile muss man etwas unternehmen – nach der Gondelfahrt eine Mountainbiketour, nach dem Paragliding eine Schiffsrundfahrt. Abends geht man ins „Eichard’s“ oder in den „Harlequin Nightclub“. Oder man trinkt zusammen auf dem Zimmer im Hostel, wie die billigen Herbergen für Rucksackmenschen heißen. Die Backpacker, die in Queenstown hängen bleiben, nehmen jede Party mit. Und wenn sie pleite sind, langen sie auch schon mal bei den Mitreisenden zu. Wer die Zimmertür im Hostel nicht abschließt oder den Brustbeutel nur dürftig unter dem Kopfkissen versteckt, ist selber schuld.
Andy vermisst die familiäre, offene Atmosphäre, die er aus anderen neuseeländischen Backpacker-Unterkünften kennt. Der 31-jährige Engländer ist drei Monate allein über die Nordinsel gereist, bevor er auf die Südinsel übergesetzt hat, um die berühmten Wanderwege Neuseelands abzulaufen. Queenstown ist für ihn ein Übernachtungsplatz auf dem Weg ins einsame Fjordland rund um den Milford Sound. Nur kurz geht er abends in die Stadt, zum Automaten. Der schüchterne Aussteiger will seine Ruhe am anderen Ende der Erde. Das Publikum im Hostel ist ihm zu jung und viel zu laut. Er lässt kurz seine Dose Bier im Aufenthaltsraum stehen, um aufs Klo zu gehen; als er wiederkommt, ist sie leer. „Buggers!“ – Banditen –, schimpft er, geht ins Bett und stellt den Reisewecker auf fünf. Er will nur noch raus aus Queenstown, und das vor Sonnenaufgang. HOLGER KISTENMACHER
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