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Der Musik- und Literaturkritiker Joachim Kaiser hält Kritik für „eine eigene künstlerische Anstrengung“. Sonst wäre sie „nur eine blöde Bestandsaufnahme“. Das sagte Kaiser in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Mit seiner Tochter Henriette Kaiser hat er bei Ullstein unter dem Titel „Ich bin der letzte Mohikaner“ gerade seine Erinnerungen vorgelegt. „Wenn ein Werk viele Dimensionen hat, mit Verzweiflung, Glück und Hoffnung, dann muss die Kritik darauf auch ein bisschen künstlerisch antworten“, sagte Kaiser, der am 18. Dezember 80 Jahre alt wird. Er schreibt seit 1959 für die Süddeutsche Zeitung. Kaiser bemängelt in seinem Buch daher den zunehmenden Arbeitsdruck in den Kulturredaktionen. „Heute sitzen schwer arbeitende Redakteure vor ihren Computern, sie haben kaum Muße mehr für längere Gespräche.“ Kaiser möchte mit seinen Kritiken „niemand wirklich verletzen“, aber übermäßige Vorsicht könne auch langweilig wirken. Daher beneide er manchmal Marcel Reich-Ranicki um dessen „enormes Temperament“. „Er regt sich auf und geht manchmal auch ein wenig zu weit, aber die Nation lächelt darüber, und es ist immer noch besser als diese Langweiler.“ Man könne sicher auch ein glückliches Leben „ohne Hochkultur“ führen. Was den „besseren Menschen“ angehe, so sei ja bekannt, dass viele KZ-Aufseher abends Bach und Beethoven gehört hätten, was natürlich nicht bedeute, dass alle Bach-Liebhaber auch KZ-Aufseher sein könnten. Humanistische Bildung beeinflusse den Charakter jedenfalls nicht automatisch positiv. Kaiser pocht aber darauf, dass es in seinem Beruf „ohne ein gewisses Ethos nicht geht“. Er gebe sich auch bei kleinsten Dingen, ob Meldungen oder kleineren Kommentaren, „immer die größte Mühe“. Recht so, wir auch!