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Archiv-Artikel

Herandonnernde UN-Hubschrauber

Zu dem Kompilationsfilm „11‘09‘‘01“ steuerte neben Ken Loach und Samira Makhmalbaf auch Danis Tanovic eine Episode bei. Am Montag hat sein Oscar-prämierter Spielfilm über den Bosnienkrieg „No Man‘s Land“ in Hamburg Premiere

Das Kriegsfilmgenre hat Danis Tanovic nicht neu erfunden

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Vollmundig künden schon seit Tagen zahlreiche Fernsehfeatures Danis Tanovics Spielfilm No Man‘s Land als Satire über den Bosnienkrieg an. Von dem Krieg, der im November 1995 mit der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton durch Milosevic zu Ende ging, handelt der Film tatsächlich. Zu lachen gibt es auch viel, auf Seiten der Zuschauer sowie, etwas galliger, auf Seiten seiner Protagonisten. Aber eine Satire ist er nicht.

„Was ist der Unterschied zwischen einem Pessimisten und einem Optimisten?“, albern die mit Chucks und Rolling Stones-T-Shirts ausgerüsteten Soldaten eines bosnischen Nachschubkommandos, das sich des Nachts im Nebel verirrt hat. „Der Pessimist glaubt, es kann nicht mehr schlimmer werden. Der Optimist weiß, es kann.“ Die Haltung von beiden wird bis zum Ende die Erzählhaltung von No Man‘s Land bleiben, der im vergangenen Jahr als bester nicht englischsprachiger Film mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Wie der Optimist ist der Pessimist verwickelt ins Geschehen, und schlecht ausgehen wird es für beide. In Interviews äußerte sich Tanovic, der den Krieg auf Seiten der Bosnier mit der Kamera begleitet hat, er wolle mit dem Film darauf aufmerksam machen, dass die Zerstörungen infolge der kriegerischen Auseinandersetzung in Bosnien-Herzegovina bis heute nicht beseitigt sind. Auch in seinem Beitrag zum Kompilationsfilm 11‘09‘‘01 stellte Tanovic mit den Witwen des Massakers von Srebrenica eine immer noch offene Wunde des Kriegs zur Erinnerung ins Bild.

Die Bilder in No Man‘s Land bewegen sich zwischen weitläufigen Landschaftstotalen und der Enge eines Kammerspiels. In einen Schützengraben mitten zwischen den Stellungen hat es Ciki, einen der Überlebenden des verirrten bosnischen Nachschubkommandos, und den serbischen Rekruten Nino verschlagen. Neben ihnen auf einer Mine ein Verletzter: bewegt er sich, wird sie hochgehen. Zwar gelingt es ihnen nach einer Reihe von Verrenkungen und einigen Scharmützeln im Graben, die UN auf sich aufmerksam zu machen. Doch deren Hilfsangebote bleiben in Kompetenzgehangel und Bürokratie stecken. Auftritt „die internationale Presse“: zunächst in Gestalt einer durch Katrin Cartlidge brillant besetzten, herben britischen Fernsehreporterin, die immer zuerst zur Stelle ist und doch nichts begreift von dem, was sie sieht. Im Gefolge ihren hündischen Kameramann und bald einen Schwarm weiterer dümmlicher Pressevertreter aus aller Welt, die sich letzlich mit einer Pressekonferenz im Holiday Inn begnügen müssen, anstatt zu filmen, wie der verletzte Bosnier unverändert auf der Mine liegt.

Der Schluss lässt vieles offen, eins sicher nicht: In diesem Krieg hat niemand gewonnen. Gewinner gab es auch in Jasmin Dizdars Beautiful People nicht, einem Film über den Kroatien- und den Bosnienkrieg, der viel eher das Prädikat Satire verdient. Doch Tanovic ist weit entfernt von einer satirischen Überzeichnung, wie sie Dizdar vornahm, als er die beiden Kontrahenten endlos erscheinende Filmminuten lang raufend durch London schickte. Die Frage, wer den Krieg begonnen habe, inszeniert zwar auch Tanovic als kindisches Nein-doch-Spiel. Aber er gibt seine Figuren nicht dem Gelächter preis. Hier werden die Motivationen beider Kriegsparteien ernst genommen, auch wenn sich der Film sichtlich auf die Seite der Bosnier schlägt.

Spott gibt es einzig für Presse und UN-Truppen. Seinen britischen Commander hat Tanovic den Vorgesetzten aus Anti-Kriegs-Satiren wie Catch 22 oder M.A.S.H. nachempfunden. Aber insgesamt fehlt dem Film für eine vergleichbar zurückgelehnte Haltung die Distanz zum Krieg und seinen Folgen. Die schnelle Etikettierung von No Man‘s Land als Satire beschwört diese Distanz, weil sie als Rezeptionshaltung so bequem ist.

Das Kriegsfilmgenre wird durch No Man‘s Land nicht gerade neu erfunden. Bedrohlich herandonnernde Hubschrauber verwendet Tanovic wie sämtliche derartigen Filme seit Apocalypse Now als Symbol für die Hybris von falschen Herrschaftsansprüchen. Auch über die komplexen historischen Hintergründe genau dieses Krieges gibt er keine Aufschlüsse. Vielmehr tendiert der Film zu einer universellen Verurteilung von Kriegshandlungen überhaupt. Das droht der Auseinandersetzung mit dem hier gezeigten Krieg zwischen Bosniern und Serben ständig die Spitze zu nehmen. Aber wenigstens zeigt sich No Man‘s Land involviert. Dem ein Stück weit zu folgen, muss ja nicht gleich bedeuten, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Ein „wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ wird hier niemandem abverlangt.

Premiere: Mo, 20 Uhr, Abaton