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Archiv-Artikel

„Ich würde wieder so entscheiden“

Wenn der Staatsanwalt spricht, laufen viele teure Kugelschreiber übers Papier. In der ersten Verhandlung ist die Riege aus Anwälten und Mitangeklagten um Ex-Volksbank-Chef Misgeld zuversichtlich, dass das Betrugsverfahren mit Freispruch endet

von KIRSTEN KÜPPERS

Die Staatsanwältin steht hinter ihrem Pult, sie hält ein Packen Papier in der Hand und liest vor. Sie liest und liest und liest. Nach einer Stunde löst ein Kollege sie ab. Auch der Kollege liest und liest, rattert Zahlenkolonnen herunter, es nimmt kein Ende. Die Zahlen stehen für Verluste. Sie stehen für das Geld, das Menschen angelegt haben in einen Immobilienfonds. Zehntausende, hundertausende, Millionen haben sie investiert – und weil alles so rentabel klang und die Berliner Volksbank nicht abgeraten hat von dem Geschäft, haben ihre Ehefrauen und Ehemänner ebenfalls Anteile am Fonds gezeichnet. Am Ende haben die Menschen alles Geld verloren und noch mehr. Die Zahlen des Staatsanwalts laufen nach zwei Stunden Vorlesen zu einem einzigen großen Betrag zusammen: 66.758.250 Mark.

Das ist der Schaden, um den es hier geht. Die Angeklagten sollen von Juli 1993 bis März 1996 mehr als 650 Anleger hintergangen haben, sagt die Staatsanwaltschaft. Vor dem Landgericht müssen sich derzeit der ehemalige Vorstandschef der Berliner Volksbank, Ulrich Misgeld, zwei weitere ehemalige leitende Volksbank-Mitarbeiter und zwei Manager der früheren Berliner Bauträgergruppe Euwo Holding AG wegen Millionenbetrugs verantworten. Der Prozess gilt als Modellverhandlung für die Verfolgung von Wirtschaftsvorständen in Betrugsfällen. Die Ermittler im Verfahren um die Berliner Bankgesellschaft und den Mannesmann-Verkauf verfolgen das Geschehen im Berliner Gericht aufmerksam.

Den angeklagten Bankmanagern wird vorgeworfen, die Schieflage der beiden Euwo-Immobilienfonds „Tabakmoschee Dresden“ und „Dienstleistungszentrum Spandau“ veranlasst zu haben. Sie sollen nicht nur gewusst haben, dass die Fonds wertlos sind. Sie kannten auch die Schulden der Euwo-Gruppe und sollen dem Bauträger trotz der finanziellen Notlage unverändert Kredite gewährt haben. Ihren Privatkunden haben sie, so der Staatsanwalt, weiterhin Euwo-Fonds angeboten.

Beschuldigungen, die die Angeklagten gestern mit selbstbewusster Empörung zurückwiesen. „Zuverlässigkeit, Fairness und Geradlinigkeit sind Maßstäbe, die ich immer erfüllt habe“, erklärte Ulrich Misgeld. Der pensionierte Bankvorstand Heinz-Dieter Prüske sprach von „Kriminalisierung“. Die massiven Einbrüche auf dem Immobilienmarkt seien damals nicht vorhersehbar gewesen. „Ich würde die gleiche Entscheidung wieder so treffen.“

Überhaupt geben sich die fünf Angeklagten im Prozess hoffnungsfroh. Sie haben eine Riege kostspieliger Anwälte bezahlt und rechnen mit Freispruch. Wenn der Staatsanwalt spricht, laufen viele teure Kugelschreiber übers Papier. Immer wieder beklagt Misgelds Verteidiger „schwere Mängel im Ermittlungsverfahren“.

Vielleicht macht die Beschuldigten auch die lange Verfahrensdauer zuversichtlich. Knapp fünf Jahre ist es her, dass Ulrich Misgeld einen Tag nach Ankunft aus einem Familienurlaub in der Schweiz verhaftet wurde. Inzwischen arbeitet er schon seit drei Jahren bei einem Berliner Hersteller von Innen- und Außenbeleuchtungsanlagen. Der Prozess gegen ihn und seine früheren Kollegen wird morgen fortgesetzt. Das Gericht hat bis weit in den Sommer Termine anberaumt.