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Archiv-Artikel

Hermann Löns: „Die Häuser von Ohlenhof“ Die Lodengröße als Ethnologe

In der Serie „Wiedergelesen“ besprechen unsere Autoren norddeutsche Bücher, die vor langer Zeit erschienen, ihnen aber bis heute nicht aus dem Kopf gegangen sind

Stiefel und Schnauzer frisch gewichst, die Flinte geschultert, den treuen Teckel an der Seite, so hat man Hermann Löns (1866 – 1914) in Stein gehauen im Tietlinger Walcholderhain. So geistert er bis heute durch die Fachblätter der Waidwerker und norddeutschen Heimatpfleger. Obendrein ziert sein Konterfei eine Medaille, welche die Jünger der Volksmusik alljährlich an Schreckensmänner wie Gotthilf Fischer verleihen. Ihnen allen ist der Heidedichter kapitaler Platzhirsch und unantastbare Lodengröße, weil er die heimische Flora besang und die Fauna beseelte mit Geschichten über putzige Moorhühner, Edelmarder oder „Mümmelmann“, den Top-Rammler und „Heldenhasen“ vom Wilseder Berg.

Aus eben diesen Gründen wirkt Löns auf viele Germanisten wie ein rotes Tuch. Man schimpft ihn „Sozialdarwinist“ und „Wegbereiter der Blut- und Boden Ideologie“ (Thomas Dupke), sein Werk sei ein Gebräu aus „banalsten Gedichten“ und „Provinzprosa, für die der Ausdruck Kitsch noch ein Euphemismus ist“ (Hans-Albrecht Koch). Nun braucht sich jemand, der bekannte „ich bin Teutone hoch vier“ und unter seine Texte das Swastika-Symbol, das alte indogermanische Hakenkreuz, pinselte, über einen schlechte Nachruf nicht zu wundern.

Im Falle Löns hat das aber tatsächlich tragische Züge. Denn der verkrachte Medizinstudent war eben auch ein erstklassiger Journalist und konservativer Kapitalismuskritiker, eine schillernde durchaus genialische Persönlichkeit, die mit ihren Irrungen und Widersprüchen genau besehen nicht viel exzentrischer wirkt als andere Vertreter des Fin de Siècle wie Friedrich Nietzsche, Stefan George oder Gerhard Hauptmann.

In Hannover, wo der Natur-Idylliker für die Madsack-Blätter schrieb und es bis zum Chefredakteur brachte, nannte man ihn „Dandy“, weil er geckenhaft im weißen Anzug herumstolzierte. Er gab den Aufreißer („Ein Mann wie ich braucht jede sieben Wochen eine andere Geliebte“), irrte aber, als ihn seine zweite Frau verließ, waidwund durch Europa.

Er spielte den lässigen Gesellschaftslöwen und litt unter Depressionen, selbst wenn er sich im Schreibwahn monatelang in seiner Kammer verbarrikadierte. Obwohl ihm der Suff dabei des öfteren das Gehirn vernebelte, vor allem anlässlich seines „Wehrwolfes“, einem Blutsäufer-Epos aus dem Dreißigjährigen Krieg, gelangen ihm ein paar Sachen, an die sich zu erinnern lohnt.

Zum Beispiel Gedichte im melodiösen Peter-Hille-Ton wie „Das Ferne Land“, das frühe Öko-Poem „Der Bohrturm“, das eindringlich die Bedrohung der Natur durch die Industrialisierung beschreibt („Es steht ein schwarzes Gespenst im Moor;/ das ragt über Bäche und Bäume empor“) oder sein Erlebnisbericht aus dem Zwergfürstentum Schaumburg-Lippe, Frucht eines Arbeitsintermezzos in der Landeshauptstadt Bückeburg und eine der witzigsten Duodezsatiren deutscher Zunge.

„Außer den Warnungstafeln, die die hauptsächlichste Sehenswürdigkeit des Landes bilden, denn auf keinem Fleck der Erde gibt es so viele auf so wenig Land, ist die zweitbedeutendste die Geflügelzuchtanstalt des Prinzen Hermann, von boshaften Leuten Geflügelunzuchtanstalt genannt, denn seitdem es seiner hochfürstlichen Durchlaucht nicht gelang, Hühner in Landesfarben, Wasserpfauen und krähende Enten zu züchten, ist es ihm gelungen, dadurch, dass er allen Rassen die vollkommene Promiskuität in Gnaden gewährte, die edelsten Schläge in wenigen Generationen wieder zum einfachen Durchschnittslandhuhn zurückzuführen, ein Verfahren, das in der Hühnerzucht einzig dasteht. Fernere Sehenswürdigkeiten sind ein Hofsozialdemokrat, zwei Hofzwerge und Hoflieferantenschilder.“

Am besten haben sich aber zweifellos „Die Häuser von Ohlendorf“ gehalten. Der Roman stammt aus dem Nachlass und erschien 1917 in Hannover. In vierundzwanzig knappen Szenen setzt Löns das Porträt eines niedersächsischen Dorfes zusammen. Thematik und Form waren damals ein Novum, die Sprache ist schnörkellos und von präziser Bildhaftigkeit. Über die Bewohner des Dieshofes, um den sich einige der Miniaturen ranken, heißt es: „Es ist ein harter Schlag, der auf dem Hofe sitzt. Die Männer arbeiten viel, trinken wenig und sprechen gar nicht; sie befehlen nur. Ihre Nasen sind gerade, ihre Augen kalt, ihre Lippen bilden einen scharfen Strich, ihre Knochen sind gewaltig, ihre Hände entsetzlich.“

Aber Löns kann’s auch komisch. Vetter Phillipp, der nach Jahren im US-Exil auf den Dieshof zurückkehrt, verpasst er den Jargon verblasener Weltläufigkeit: „ ‚Denn, Gents‘, sagte er im blauen Schimmel und streckte sich einen frischen Stift hinter die Zähne, ‚in Ämerrikä ist alles besser als in Schermennie, bloß die Lädies nicht, tja.‘ Und dann pflegte er, indem er mit seiner gefährlich großen Hand um den ganzen Tisch zeigte, der Wirtin zuzurufen: ‚Detta, noch’n Drink für jeden gesegneten Schentelmenn, der vorne ’n Loch im Kopp hat!‘ “

Am Ende steht das „Heidjer“-Soziotop mit seinen sturen Bauernköppen, bigotten Krämerseelen und trinkfesten Käuzen so lebensecht in der Welt, dass man es heute noch jedem Zugereisten als ethnografischen Leitfaden an die Hand geben könnte. MICHAEL QUASTHOFF

Hermann Löns: „Die Häuser von Ohlenhof“, gebunden, Sponholt-Verlag, 144 Seiten. Bei www.eurobuch.com und www.zvab.com, ab 11,90 Euro