Mit Hormonen ins Bett

Auch die AOK beäugt die Kosten für Wachstumshormon-Therapien „seit einiger Zeit sehr sorgfältig“. Die teuren Medikamente werden unter anderem als Anti-Aging-Mittel angepriesen. Ursachen der Bremer Kostenexplosion sind noch nicht bekannt

Der öffenliche Druck soll helfen, dass die Aufklärung nicht Jahre dauert

taz ■ „Es gibt einen zu laxen Umgang mit hochpreisigen Medikamenten“, sagt Beate Jungmann-Klaar, die Pharmazeutin der Handelskrankenkasse (hkk). Dies und die Verärgerung über Ärzte, die „geblockt“ haben beim Versuch der Überprüfung ihrer Diagnosen, hat die hkk dazu bewogen, mit einer alarmierenden Zahl an die Öffentlichkeit zu gehen: In Bremen wird fünfmal so häufig ein gentechnisches Präparat gegen hormomelle Wachstumsstörungen verschrieben als es dem Bundesdurchschnitt entsprechen würde. Eine solche Differenz lässt sich nach Auffassung der hkk auch nicht damit erklären, dass es in Bremen-Nord ein Kompetenz-Zentrum für Wachstums-Störungen gibt, das Patienten aus dem Umland anzieht. Solche Zentren gebe es in Hamburg oder Berlin auch ohne entsprechende Folgen, sagt die Kassen-Vertreterin.

„Diese Zahlen sind erklärungsbedürftig“, findet auch Olaf Woggan von der Bremer AOK. Die Behandlung eines Patienten könne 25.000 Euro im Jahr kosten, über Jahre würden Kinder täglich mit „Genotropin“ oder „Somatropin“ gespritzt. Die regionalen Bremer Krankenkassen verbuchten im ersten Quartal des vergangenen Jahres 140 Verordnungen, im dritten Quartal sogar 165 Verordnungen und 470.000 Euro Kosten. „Wir beobachten das seit einiger Zeit sehr sorgfältig“, sagt AOK-Mann Woggan, an die Öffentlichkeit sei die AOK nur aus einem einzigen Grund nicht gegangen: „Wir haben noch keine eindeutigen Beweise.“

Die hkk hat schon den „Medizinischen Dienst der Krankenkassen“ eingeschaltet, der einzelne Fälle überprüfen soll, in denen die Hormonmittel Kindern verschrieben wurden, obwohl eindeutig kein Wachstumshormonmangel diagnostiziert worden war.

Es gibt auch Fälle, in denen das Mittel von Hausärzten für Erwachsene verschrieben wurde. Und da wird die Pharmazeutin der hkk hellwach. Zum Beispiel lobt die Firma Grandis: „Es gibt Anzeichen dafür, dass ein Wachstumshormon wegen seiner anabolen Funktion insbesondere beim älter werdenden Mann (aging male) Körperfunktionen günstig beeinflussen kann.“ Die Hormon-Spritzen sind auch als Dopingmittel indiziert. Weil sie Fett in Muskelgewebe umzuwandeln versprechen, informieren Internet-Seiten wie www.muskelbody.de ausgiebig über Genotropin. Die Pharmafirma „Novo Nordisk“ hat auf ihrer Homepage sogar einen „Kid’s corner“ mit den Figuren „Rüdiger“ und „Rosa“ eingerichtet, die erklären, wie normal es ist, wenn man jeden Tag eine Spitze bekommt. „Man benützt dazu eine winzige, sehr dünne Nadel, die überhaupt nicht weh tut. Wachstumshormon soll abends vor dem Schlafengehen gespritzt werden.“

Und Ärzte können mit „Anwendungsbeobachtungsstudien“ für Pharmaunternehmen richtig Geld verdienen, vor Jahren machte die Pharmafirma Lilly Schlagzeilen, die 500 Euro pro Fall-Kind in einer Hormonstudie bezahlte.

Wie die eklatanten Zahlen bei der Verschreibung von Hormon-Spritzen in Bremen erklärbar sind, ist derzeit vollkommen offen. Mit diagnostizierten Wachstumshormonstörungen lassen sie sich nach der Überzeugung der hkk-Pharmazeutin Jungmann-Klaar nicht erklären. Schon wenn Mütter während der Schwangerschaft stark rauchen, haben die Kinder häufig Wachstumsmängel. Die Hormontherapie sei nicht nur zu teuer, um damit bei Kindern ohne nachgewiesene Hormonstörung herum zu experimentieren, sie berge dazu auch ernsthafte Risiken von Spätschäden, argumentiert die hkk. Aufgrund der Datenschutz-Regelungen für die Patientendaten hätten die Kassen jedoch nur geringe und indirekte Möglichkeiten, die Kostenverursacher aufzuspüren. Der öffenliche Druck solle helfen, dass die Aufklärung nicht Jahre dauert.

Kawe