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Archiv-Artikel

Switchen am Herd

Warum Männer in der Küche klotzen wollen. Und Frauen weniger Zirkus ums Kochen machen

VON TILL EHRLICH

Köche und Köchinnen werden nie arbeitslos, heißt es. Sie finden schnell eine unterbezahlte Anstellung. Doch immer weniger junge Menschen wollen offenbar Koch werden und Köchin schon gar nicht. Es gibt derzeit mehr freie Ausbildungsplätze als Azubis. Die Berufskocherei ist ein stressiger Dienstleistungsberuf mit geringem sozialem Prestige. Und wer will schon freiwillig Knecht sein? Noch dazu in einer neoliberalisierten Gesellschaft, die immer schärfer zwischen oben und unten, Arm und Reich zu trennen weiß. Wenn man diese Perspektive einnehmen will, dann gehören Profiköche in Deutschland zweifellos zu den proletarischen und vergessenen Milieus am unteren Rand der sozialen Hierarchie. Und oft haben sie einen Migrationshintergrund. Es ist in jeder Hinsicht ein unattraktiver Beruf, was Arbeitszeit, Stress, Lohn und gesellschaftliche Anerkennung betrifft.

In der Welt der Profiköche sind die Rollen klar verteilt. Es ist ein Männerdomäne, in die sich selten eine Frau verirrt. Sie wird dann als Paradiesvogel betrachtet, nicht ernst genommen, als Handlangerin, Kaltmamsell, Patissière oder Frühstücksköchin abgestellt. Wenn sie doch zum Corps dazugehören will, muss sie eine männliche Rolle spielen. Ihr Weg ist meist gespickt mit Widrigkeiten – Sexismus, Zoten und Arbeitszeiten, die sich in der Regel nicht mit einem Familienleben vereinbaren lassen. Auch wird in diesem Beruf das männliche Verhalten sekundär stabilisiert, durch Uniformen, dadurch, dass man sich einreiht und einer strengen Hierarchie unterwirft. Der berufliche Alltag gehorcht einem bis ins kleinste Detail durchstrukturierten Arbeitsablauf. Wenn Dienst ist, muss man antreten, egal ob die Frau entbindet, der Vater gestorben oder die Wohnung überschwemmt ist.

Koch gehört zu den In-Reih-und-Glied-Berufen – in dieser Hinsicht ähneln Köche Polizisten, Feuerwehrmännern und Soldaten. Wer Küchenchef werden will, muss ganz unten anfangen und meist alle Posten durchlaufen: Beikoch, Azubi, Commis (Jungkoch), Demi Chef (Stellvertreter des stellvertretenden Postenleiters), Chef de Partie (Postenleiter, Stellvertreter des Unterchefs), Sous Chef (Stellvertreter des Chefs) und schließlich Küchenchef. Für einige wenige Auserwählte geht es dann noch ein kleines Stück weiter nach oben: Sternekoch, Consulter, Fernsehkoch, Starkoch. Doch hier wird es dann auch vage, weil man den vertrauten Küchendunst verlässt und sich auf vermintes Gebiet begibt: Die Sterne können jederzeit wieder weggenommen werden, und eine Existenz als Star- oder Fernsehkoch hängt ab von Unwägbarkeiten wie Quote und Publikumsgunst.

Die Männer sind in der Regel von ihren Müttern oder Großmüttern liebevoll bekocht worden. Nicht selten hat die mangelnde Präsenz des Vaters ein gewisses Verlassenheitsgefühl erzeugt. Irgendwann sind sie auf die Idee gekommen – notgedrungen –, aus dem Schatz, den sie von ihren kochenden Müttern bekommen haben, einen echt männlichen Beruf zu machen. Es gibt aber auch Kantinen und Betriebsküchen, wo Frauen ganz unter sich sind. Fern vom Rampenlicht eines Gourmetrestaurants oder der Aufmerksamkeit der Medien, verachtet man oft das Kochen, weil es nun ganz nackt in Erscheinung tritt, als zermürbende Maloche.

Auch prominente Köche werden verheizt und weder sorgsam aufgebaut noch auf ihr Wirken in der medialen Öffentlichkeit vorbereitet. Vielmehr bläst man sympathische, proletarische Jungs wie Tim Mälzer oder Ralf Zacherl über Nacht zu Stars auf. Allein die Möglichkeit des märchenhaften Aufstiegs zu Ruhm, eigenem Restaurant und eigener Fernsehshow hält den Betrieb am Laufen, nährt die Illusion eines sozialen Aufstiegs, der kaum einem gelingt. Dabei hat das, was die Starköche tun, mit echtem Kochen wenig zu schaffen. Man kann das jede Woche im Fernsehen bei Johann Lafer besichtigen. Der Mann promotet unablässig seine eigene Vermarktungskette. Lafer will, dass das, was er tut, nicht selbstverständlich ist. Er schlägt ein Ei in die Schüssel und lässt es nicht darauf beruhen, sondern er erhebt das Triviale zum Besonderen. Noch der banalste Handgriff wird als Pups eines Genies inszeniert. Wenn wir das Messer beim Schneiden der Möhren im 32-Grad-Winkel halten, wird das Gericht besser. Noch besser wird es, wenn wir ein Johann-Lafer-Messer kaufen.

Lafer erinnert in solchen Momenten an einen Handwerker, der, bevor er die Elektrik repariert, erst mal erklärt, wie speziell und schwierig sein Job ist. So entsteht eine eigene Dynamik: Johann der Zauberer muss ein Kunststück nach dem andern vorführen, das man genau verfolgen muss. Verschwiegen wird, dass jeder nur mit Wasser und Hitze kocht und es darauf ankommt, wie die Zutaten zusammenkommen; auch dass es auf Taktik und Verhältnismäßigkeiten ankommt, nicht auf das sklavische Befolgen von Rezepturen. Kaum ein Starkoch beruft sich auf eine Kochtradition oder -schule, die ihn geprägt hat. Jeder tut so, als sei er ein vom Himmel gefallener Zauberer. Das ist der Betrug dabei. In Wahrheit sind diese Köche fürchterlich abgerichtet. Sie haben sich meist von cholerischen, ungebildeten Chefs erst demütigen und dann protegieren lassen. Sie haben die Ochsentour absolviert und sich von unten nach oben gedient. Sie können gar nicht mit allen Sinnen kochen wie ihre Mütter und Großmütter, weil sie permanent unter ökonomischem und zeitlichem Druck stehen.

Ganz anders sind kochende Frauen wie Sarah Wiener und Cornelia Poletto. Zwei Stars der Szene, die wie Fremdkörper unter den irrlichternden Schubecks und Kleebergs wirken. Sie haben das, was ihren männlichen Kollegen fehlt: Ironie, Witz und innere Distanz. Cornelia Poletto hat bei Kerner immer auch mit ihrer Rolle gespielt. Die Hanseatin switchte, je nach Situation, zwischen frechem Mädchen, Spötterin oder cooler Bescheidwisserin, die mit den Kollegen stets auf Augenhöhe war. Sie reagierte prompt ironisch, wenn Kerner peinlich wurde oder sich die Supermänner mal wieder gegenseitig lobten. Poletto ist offensichtlich intelligent und professionell genug, sich selbst und ihre Rolle zu relativieren. Sarah Wieners kulinarische Abenteuer auf Arte sind Glanzlichter unter den Kochsendungen. Sie ist quer durch Frankreich getourt und hat in der Provinz Hausfrauen und Köche beim Kochen beobachtet. Das macht sie ohne Besserwisserei, begegnet den Frauen mit einer gewissen Scheu und einem Schmunzeln, das die Insiderin verrät. Sie zeigt keine Gier, freut sich über die Selbstverständlichkeit, mit der die Frauen Cassoulet oder Coq au vin zubereiten. Es ist eine Selbstverständlichkeit des Kochens, die auch die ihrige ist.

Im privaten Bereich ist die Rollenverteilung eine andere, weil das Kochen in der Freizeit stattfindet. Nicht nur Profiköche sind besonders gut, wenn es darum geht, mit dem Kochen Anerkennung und Aufmerksamkeit zu erheischen; es gelingt auch dem Durchschnittsmann, der sich am Wochenende zum Hobbykoch aufschwingt. In seiner kostbaren Freizeit geht er zum Markt, putzt Gemüse und schneidet Zwiebeln, bis er weinen muss. Er nimmt das Kochen auf sich – als barmherzigen Akt.

Frauen sind im Kochen um Anerkennung weniger gut, sondern ehrlicher und sagen schon mal: „Ich habe keine Lust, zu kochen, wir gehen essen.“ Der männliche Narzissmus blüht beim Kochen gern auf, der weibliche hingegen weniger. Frauen leben ihren offenbar auf anderen Feldern aus und machen dafür beim Kochen weniger Zirkus.

Vermutlich gibt es bei vielen Frauen, auch bei Sarah Wiener und Cornelia Poletto, noch den Bezug zu einer Tradition des Kochens, insofern sie von ihrer Familie etwas mitbekommen, es sich kritisch angeeignet und verändert haben. Das ist derart selbstverständlich, dass sie nicht darüber reden. Das Selbstverständliche erhebt man ja nicht zum Besonderen. Schließlich geht es beim Kochen primär darum, einen abgerundeten, interessanten Geschmack zu erreichen, der Präsenz und Nuancierung besitzt. Und nicht die Show ist wichtig, sondern die Liebe, die bekanntlich durch den Magen geht.

Das Problem mit dem kulinarischen Genuss ist, dass er ein vergänglicher Wert ist, der immer wieder neu hergestellt werden muss. Das relativiert die ganze Genießerei, so essenziell und so schön sie auch sein mag.

TILL EHRLICH, Jahrgang 1964, serviert monatlich die taz-Sättigungsbeilage