: Der Gang vors Gericht
Das Einklagen von Studienplätzen hat angesichts der um sich greifenden Numerus-Clausus-Regelungen deutlich zugenommen. Den Erfolg solcher Klagen einzuschätzen, ist allerdings mindestens so kompliziert wie das deutsche Hochschulrecht selbst
von OLIVER VOSS
Die Chancen, einen Studienplatz in Berlin zu bekommen, stehen derzeit schlecht. Fast flächendeckend haben die drei großen Universitäten einen Numerus Clausus eingeführt, in den gefragtesten Fächern geht nichts ohne eine Eins vor dem Komma.
Trotzdem – oder gerade deswegen – gab es zu diesem Wintersemester die Rekordzahl von 75.000 Bewerbungen. Viele Studierwillige haben sich gleich mehrfach beworben, und wenn auch das ohne Erfolg blieb, zum letzten Mittel gegriffen: dem Gang vor das Gericht.
„Die Zahl der Klagen ist sehr stark angestiegen“, sagt Edgar Fischer, Richter am Verwaltungsgericht Berlin. Allein gegen die Humboldt-Universität gab es 2.100 Klagen und Eilanträge, weit mehr als im gesamten Jahr 2000. Erschrocken zeigte man sich am Verwaltungsgericht vor allem über die Zahl der Studiengänge, in die versucht wird, sich einzuklagen. „Es ist ein Trend, dass es in immer mehr Fächern Klagen gibt“, so Fischer. Ging es früher vor allem um die klassischen, harten NC-Fächer wie Medizin oder Psychologie, müsse nun für 20 bis 30 Studiengänge entschieden werden, ob die Unis weniger Studienplätze zur Verfügung stellen, als sie könnten. „Zum Glück müssen wir nicht alles berechnen, sonst würden wir zu nichts anderem mehr kommen“, meint Fischer. „In vielen kleinen Fächern, wo es um wenige Fälle geht, zeigen sich die Unis häufig vergleichsbereit.“
Die Klageprozedur selbst ist relativ einfach und basiert auf der Annahme, die Universitäten würden ihre Kapazitäten nicht voll ausschöpfen. Die Berechnung der Kapazitäten ergibt sich aus vielen verschiedenen Vorschriften und differenzierten Kriterien. „Die Uni versucht nachzuweisen, wie viele Plätze sie hat, das Gericht rechnet nach. Und wenn es freie Plätze findet, wird die Uni auf eine Vergabe verpflichtet“, erklärt Richter Fischer. Werden dabei weniger Plätze gefunden, als es Kläger gibt, muss gelost werden. „Voraussetzung ist erst einmal ein formloser Antrag auf einen Platz außerhalb der Kapazitäten“, so Fischer. Dieser Antrag an die Uni ist eine Formsache und wird generell abgelehnt. Dagegen kann man dann klagen. Beim Verwaltungsgericht gibt es Vordrucke für die Klage und den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Wird dieser positiv beschieden, kann man sich vorläufig einschreiben und studieren, bis das eigentliche Verfahren entschieden ist. Der Terminstand ist relativ lang, im Schnitt zwei Jahre.
Oft kann man sich daher mit den schon erworbenen Scheinen als Quereinsteiger für ein höheres Fachsemester bewerben, wo die Zulassungsbeschränkungen geringer sind. Die eigentlichen Klagen erledigen sich damit meist. Allerdings muss man auch bei Rücknahme der Klage bis zu 350 Euro zahlen. Diese Kosten ergeben sich daraus, dass sich die Unis zunehmend anwaltlich vertreten lassen. Die eigentlichen Gerichtsgebühren für die Anträge belaufen sich auf 37 Euro.
Die Erfolgsaussichten einer Klage einzuschätzen, ist so kompliziert wie das deutsche Hochschulrecht selbst. Daher lassen sich auch viele Kläger von Anwälten vertreten. Die Sozietät „Brehm – Breinersdorfer – Zimmerling“ ist seit den 70er-Jahren auf das Einklagen von Studienplätzen spezialisiert. „Die Chancen hängen von der Klagestrategie ab“, sagt Robert Brehm, „und davon, ob man bereit ist, Geld für Klagen gegen anwaltlich vertretene Unis auszugeben.“ Im Fach Medizin sollte man für alle Ausgaben ein Polster von 5.000 Euro mitbringen, allerdings klagt Brehm dafür auch gleich bei einem Dutzend Hochschulen. „In Zahnmedizin und Psychologie hat das in der Vergangenheit immer geklappt“, sagt der Anwalt.
Aber lernen die Unis nicht auch aus den Verfahren und verbessern ihre Kapazitätsberechnung? Kaum. „Das ist genau das Verrückte“, so Brehm, seit 27 Jahren klage er gegen Hochschulen. Er bestätigt den Trend zu immer mehr Klagen. Für Medizin an der Uni Leipzig gab es im Jahr 2000/01 noch 137 Verfahren, nun sind es über tausend. „Durch steigende Bewerberzahlen wird auch die Zahl der Klagen weiter zunehmen“, glaubt der Anwalt. „Allerdings werden sich die Chancen mit steigender Zahl der Klagen tendenziell verringern.“ Auf der anderen Seite stehen Veränderungen wie die Zusammenlegung der medizinischen Fakultäten von HU und FU in Berlin. Dabei stellt sich für den Juristen die Frage, ob der Gesetzgeber eine Begrenzung der vorhandenen Berliner Kapazitäten anordnen durfte. „Neue Regelungen schaffen Unsicherheit, und das ist immer ein Faktor der Chancenmaximierung“, sagt Brehm.