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Archiv-Artikel

Töne für das Ego

Klingeltöne von Handys haben sich zu persönlichen Visitenkarten entwickelt. Der Ton wird Charaktersache. Was es über die Besitzer wirklich erzählt, ist alles andere als individuell

VON VERENA DAUERER

Es schmiegt sich ganz und gar privat ans Ohr. Und niemand sonst kann sehen, welche Botschaft geschickt wurde, selbst wenn das Display riesengroß ist. Das Handy ist intim. Auch die farbenprächtigen Oberschalen oder das Logo, das lächelt, wenn jemand anrufen will, muss niemand ertragen außer derjenige selbst. Ganz anders aber die Töne, die man dem Handy beibringen kann: Sie klingeln für alle, die in der Nähe sind.

Puristen nehmen den Old-School-Klang der Telefone aus den 70ern und 80ern, diese wahlweise grün oder rostroten, quadratisch geformten Plastikmonster, und lassen die fortschrittliche Kommunikationstechnik möglichst realistisch ringen. Damit fühlen sie sich offenbar geschmacksneutral sicher und modisch auf der Retro-Schiene.

Naturliebende Menschen mögen es idyllischer und wählen einen Ton, der entfernt an Vogelgezwitscher erinnert. Einmal nach oben tirilierend und wieder abfallend. Wie aus Studien bekannt wurde, imitieren Vögel inzwischen ihrerseits die Klingeltöne: Das System ist selbstrefenziell.

Wenigstens nervt das ökologische Gezwitscher nicht so sehr wie die Alarmsirene, mit der manche ihre SMS bekommen. Ein eintönig schrilles Tüten, das dem SOS-Notrufsignal ähnelt, rüttelt planlos Unorganisierte auf, die einen Termin vergessen könnten.

Gott sei Dank gibt es noch keine Polizeisirenen-Töne: Für Menschen mit hohem Infarktrisiko wären sie ebenso belastend wie für Kaufhausdiebe und politisch radikale Demonstranten. Ringen, Zwitschern und Sirenen jedenfalls zeigen allesamt, dass sich der Besitzer oder die Besitzerin dieses Apparats nicht ernsthaft mit der realen Entwicklung der Technik beschäftigt hat.

Denn es gibt Alternativen bei den Tönen, die das Handy standardgemäß anbietet. Soziale Schichten mit gehobener Allgemeinbildung greifen gerne zur Klassik. Sie nehmen ein Stückchen Toccata von Bach oder „Für Elise“ von Beethoven. Das beweist zwar gewisse Grundkenntnisse in der Bedienung des Geräts, offenbart aber zugleich einen arg konservativen Musikgeschmack.

Leute, die von sich selbst glauben, dass sie im Trend liegen, oder gerne halb so alt wären, wie sie wirklich sind, bevorzugen daher Titel aus den aktuellen Charts. Schon besser. Obwohl man oft den Hit dann doch nicht erkennt, weil nur der Anfang eines Stücks etwa von Lumidee oder Beyoncé anklingt. Da fehlen halt die Bässe und mehr als ein dünnes, sich überschlagenes Fiepen kommt nun mal nicht aus dem kleinen Lautsprecher.

Grundsätzlich besteht das Problem bei individuellen Klingeltönen darin, dass die persönliche Auswahl eines Hits gar nicht persönlich sein kann. Sonst wäre er kein Hit. Dasselbe gilt für die Klassiker. Menschen, die einen vermeintlich persönlichen Hit wählen, kann es passieren, dass sie im U-Bahn-Abteil, Großraumbüro oder Café instinktiv zum Handy greifen, obwohl es beim Nachbarn klingelt. Der Reflex beweist, dass sie kompetente Mitglieder der Kommunikationsgesellschaft sind. Peinlich ist er trotzdem. Nicht des offenbar weit verbreiteten Klingeltons wegen, der für einen zwar nicht besonders originellen, aber immerhin sicheren Geschmack spricht. Peinlich ist der Griff zum stummen Handy vielmehr, weil er für alle sichtbar die Erwartung zeigt, jederzeit angerufen zu werden. Die Botschaft aber lautet nur: „Du bist jetzt nicht gefragt.“

Wenn sich solche Szenen häufen, wird es Zeit, einen anderen Klingelton zu suchen. Wenn er ein Zeichen der eigenen Persönlichkeit sein soll, kommt die mit den Handys aus der Fabrik mitgelieferte Sammlung nicht in Frage. Sie enthält nur Standards der Art, wie sie schon im Kaufhaus als Hintergrundgeräusch plärren.

Alle Netzbetreiber bieten Ersatz an, der mit einem Anruf eingespielt werden kann – ein gründliches Studium der Bedienungsanleitung führt in der Regel zum Erfolg. Reichhaltiger ist das Angebot des Web-Portals „Jamba“, allerdings nicht kostenlos. Außer den Charts findet man dort auch Oldies jeder Sparte. Aber eine Lösung des Problems sind sie leider trotzdem nicht. Sie erinnern nicht nur einen selbst, sondern auch noch die Umgebung ständig daran, dass diese guten Zeiten schon ziemlich lange vorbei sind.

„Ich bin ich“, und nichts passt. Was tun? Moderne Handys lösen das Problem mit ihrer Funktion für die Speicherung von gesprochener Sprache. Sie ist eigentlich als elektronisches Notizbuch gedacht, erlaubt aber auch, radikal individuelle Klingeltöne aufzunehmen. Leute, die singen oder ein Instrument spielen können, sind deutlich im Vorteil. Am Ende läuft es nur auf die Frage nach dem persönlichen Mut zu einer wirklich unverwechselbaren Visitenkarte hinaus. Ob es nun Freejazz oder die Badezimmeroper ist, der Erfolg ist in jedem Fall sicher: So klingelt es nur bei einem selbst, ob es den anderen gefällt oder nicht.

Das lässt auf ein starkes Ego schließen, wenn auch nicht notwendigerweise auf guten Geschmack. Romantisch Veranlagte könnten auf die Idee kommen, ihre Liebsten ein paar Worte sprechen zu lassen. Auch, wenn sie dabei an die U-Bahn und an das Büro denken, nicht an das Schlafzimmer.