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Archiv-Artikel

Der Mond, die Nacht und die Nasa

Das Abenteuer der Assoziation: Die Sammlerin agnès b. stellt Fotografien aus ihrer Sammlung bei C/O Berlin aus

Sie mache keine Mode, sondern Kleidung, sagt die Desigerin Agnes Troublé, die unter dem Namen agnès b. arbeitet. So unprätentiös wie dieses Statement ist auch die Präsentation ihrer Kunstsammlung. Über 250 Arbeiten, fast ausschließlich Fotografien, werden jetzt bei C/O Berlin gezeigt.

Die abgerockten Räume des ehemaligen Postfuhramts bilden den idealen Rahmen für die Schau: Auf Wänden, von denen sich langsam die verblichenen Farben lösen, hängen Bilder von Diane Arbus und Martin Parr, Andy Warhol und Nan Goldin. Nur selten hat die Sammlerin allseits Bekanntes erworben. Ihre Wahl fiel stattdessen auf Arbeiten, die sie – wie es die 67-jährige Französin formuliert – angesprungen hätten, sei es auf Auktionen oder Flohmärkten.

Ihren immensen Reiz verdankt die Schau zweierlei: der Qualität der einzelnen Fotografien, die einen Bogen von den Anfängen des Mediums bis in die Gegenwart schlagen, und ihrem sensiblen Arrangement. Chronologie spielt bei der Hängung keine Rolle. Stattdessen erschließen sich die Verbindungen zwischen den einzelnen Exponaten assoziativ. Ein 1940 entstandener Schnappschuss von Weegee zeigt einen kokett lächelnden Transvestiten, der mit gerafftem Rock einem Polizeitransporter entsteigt. Daneben ist Gerard Malangas Porträt von Robert Mapplethorpe aus den frühen Siebzigern zu sehen. Vor seiner Verwandlung zum Ledermann präsentiert sich der Fotograf hier als cool grinsender Bohemien – inklusive schwarzem Barett, Weste und Halsketten. So unterschiedlich beide Männer auch sein mögen, ihr demonstratives Selbstbewusstsein und ihr Status als Außenseiter verbindet sie. In einem anderen Raum wirken die Jungen, die 1930 in El Lissitzkys Kamera grimassierten, wie Prototypen der Amsterdamer Punks, die direkt neben ihnen trotzig vor sich hin schauen.

Sie sei fasziniert von „der Jugend, von Leuten, die suchen, die unsicher sind, die zweifeln“, erklärt sie in einem Interview mit dem Kurator Hans-Ulrich Obrist. Das können Cameron Jamies picklige Vorstadtjungen sein, die unbeholfen coole MTV-Posen ausprobieren, oder Ryan McGinleys nackte Twens. Jugendliches Aufbegehren ist aber nur eines der Themen der Schau. Die ehemalige Kunststudentin, die 1984 in Paris ihre Galerie du Jour eröffnete, ist ebenso von flüchtigen Momenten fasziniert und von Spuren, die sich in Gesichter eingeschrieben haben. Wie etwa das von Blues-Brother John Belushi, kurz bevor ihn seine Drogenexzesse endgültig killten. Spuren sind aber auch auf Wänden und Hausfassaden zu finden, beispielsweise in der grandiosen Serie von Brassaï, für die der Chronist des nächtlichen Paris seit den Dreißigern Graffiti festhielt: archaische Gesichter, Herzen, Totenköpfe – die Höhlenmalerei der Großstadt. Die Theaterdiva Sarah Bernard inszeniert sich als Leiche in einem Sarg, der schlafende Jean Cocteau wirkt wie aufgebahrt.

Und der Dramatiker Antonin Artaud, gezeichnet von Schizophrenie, Psychiatrieaufenthalten, Elektroschocks, trifft hier auf eine junge Blondine mit großer Zukunft und labiler Psyche: Norma Jeane Baker, gerade 20 Jahre alt und noch nicht zu Marilyn Monroe mutiert. André de Dienes, der Fotograf, für den die Schauspielerin am kalifornischen Strand posierte, hatte sie vor dieser Aufnahme gebeten, sich den Tod vorzustellen. Das beeindruckende Bild ist kaum größer als ein Kontaktabzug. Es macht den Charme dieser wunderbaren Ausstellung aus, dass das Porträt der späteren Leinwandikone so beiläufig präsentiert wird, dass man es fast übersehen könnte. ACHIM DRUCKS

„agnès b. Collection of Photography“. Bis 7. Dezember 2008, C/O Berlin, Postfuhramt Oranienburger Straße/Tucholskystraße. Katalog bei JRP|Ringier, 38 €