: Die erste Bewegung des Himmels
Fernöstliche Kampfkünste stehen noch immer hoch im Kurs. Wenig bekannt ist eine Variante namens ‚Kinomichi‘. In Frankreich entwickelt, entstehen auch hierzulande neue Übungsräume, einer von insgesamt vier in Deutschland jetzt in Bremen
taz ■ Das wäre was fürs heitere Geräuscheraten: Etwas schleift langsam, aber rhythmisch über den Boden. Stoff, viel Stoff, bauscht und raschelt. Zwischendurch ein Schnaufer, ein leises, wiederkehrendes „sssssss“. Nein, man kann es eigentlich nicht raten, es kennt ja kaum einer das Wort für das, was hier, in einem hellen großen Raum in der Weberstraße im Ostertor-Viertel, geübt wird: Kinomichi.
Noch eine von diesen japanischen Kampfkunstarten? Fast richtig. Kinomichi (‚Ki‘ bedeutet Lebensenergie, ‚no‘ Verbindung, ‚michi‘ persönlicher Weg) hat sich aus dem Aikido entwickelt. Doch während im Aikido, einer Mischung aus mehreren asiatischen Kampfsportarten, die Prinzipien Angriff und Verteidigung noch sehr präsent sind, steht beim Kinomichi die gemeinsame Sache mit dem Partner im Vordergrund. Gaby Büscher-Glöge, eine der Kursleiterinnen: „Man verschließt sich automatisch, wenn man angegriffen wird. Und genau das wird beim Kinomichi vermieden.“
Im Übungsraum, japanisch Dojo, legen vier Frauen und zwei Männer ihre Kleidung an. Und solange man die Figuren, die später geübt werden, noch nicht kennt, könnte man das für die komplizierteste Handlung an diesem Abend halten. Über weiße Judo-Hosen wird ein weißes Hemd gebunden, darüber noch eine Art Trägerrock. Beim Aikido ist er rabenschwarz. Vielleicht weil es friedlicher wirkt, sind die Kinomichi-Röcke fein grau-weiß gestreift. Sie sind es auch, die später dieses bauschige Opernball-Geräusch erzeugen. Hakama ist der Name der Röcke, eigentlich sehen so die Festtagsgewänder im traditionellen Japan aus. Und sie haben einen stolzen Preis: Über 150 Euro kostet das gute Stück.
Die korrekte Kleidung ist keineswegs Pflicht, „aber“, so eine Kursteilnehmerin, „man entscheidet sich für diesen Sport ja auch ein bisschen grundsätzlicher als für ein Muckibuden-Abonnement. “
Und das liegt nicht zuletzt an der Nähe und Intimität, die hier zelebriert wird und die vielleicht nicht jedermanns Sache ist. Es gleicht fast einem Tanz, wenn ein Partner den anderen führt, in Bewegungsformen die so wunderschöne Namen wie „Die erste Bewegung des Himmels“, oder „Die sechste Bewegung der Erde“ tragen. Zum Beispiel so: Kreisend gibt ein Partner mit den Händen die Geschwindigkeit vor – der andere folgt, den Kopf in die Hand des Partners gebettet. In einer leichten und doch schwierig scheinenden Bewegung kurvt er unter den Armen des Partners durch und bleibt in gespannter Haltung schließlich gegenüber vom anderen stehen.
„Im Kinomichi eignet man sich den Raum mit großen Gesten an, es geht aber in allen Figuren auch darum, dem Partner ebefalls den größt möglichen Raum zu verschaffen“, so der Lehrer Rüdiger Worms-Riechmann
Er ist auf den Geschmack gekommen, als er zum Abschluss seines Graphik-Studiums eine Foto-Serie zum Thema Aikido machte. Zunächst blieb er beim Aikido, fand dann aber immer mehr Gefallen am Kinomichi. „In Deutschland machen das hauptsächlich Frauen – in Frankreich aber, wo ‚Meister Noro‘ die softere Variante erfunden hat, machen mehr Männer Kinomichi.“ Das ‚Meister-System‘ existiert hier wie in den anderen asiatischen Sportarten. Noro, der französische, über 60-jährige Lehrer, der Kinomichi übrigens nach einem Unfall als körperfreundliche Sportart entwickelt hat, kennt jeden fortgeschrittenen Schüler persönlich. Die wiederum besuchen selbstverständlich und oft mehrfach im Jahr Lehrgänge bei ihm oder seinen Schülern. „Kinomichi ist auch ein Lernprinzip“, beschreibt Sigrid Radetzky und: „Auf jedem Lehrgang wird man immer wieder zum Anfänger“.
Kinomichi, das ist im Grunde die gute alte Selbsterfahrung im japanischen Festtagsgewand. Der Weg geht über den Körper, über Bewegungen, über die Kommunikation mit dem Partner. Stumm meistens. Gelegentlich aber kommt ein lautes Atmen hinzu. Nicht bei allen klingt es entspannt, nicht bei allen kommt es von innen. Aber der Weg vom Schein zum Sein ist schließlich nicht der allerschlechteste.
Elke Heyduck
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