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Archiv-Artikel

Die Uranmunition aus der Eifel

Nach Protesten erklärten sich die Amerikaner bereit, eine Mauer zu bauen, die die Abgase „ablenken“ soll

aus Spangdahlem ANDRÉ PARIS

Frühnebel zieht durch die Täler der Eifel, als die Mitglieder der Pfarrgemeinde Binsfeld zum Bergdorf Speicher hinaufsteigen. Im Kloster St. Vincent versammeln sie sich zum alljährlichen „Ewig-Gebet“. In diesem Jahr gibt es fast nur ein Thema: dass die USA den Irak vom Krieg verschonen, dass die benachbarten US-Soldaten gesund aus der Region zurückkehren. Doch die Binsfelder beten auch daür, dass der Streit über Fluglärm, Abgase und Enteignung ihr Dorf nicht entzweit. Und sie vergessen nicht, der Krebstoten der letzten Jahre zu gedenken. Als die Betgemeinschaft das Kloster verlässt, hat sich der Nebel aufgelöst. Die Radaranlage der „Airbase Spangdahlem“ ist wieder sichtbar.

Währenddessen staut sich am Haupttor des Luftwaffenstützpunktes der Verkehr. Es gilt Sicherheitsstufe „Bravo“. Die Fahrzeuge werden bis in die Tankdeckel hinein durchsucht. Die Insassen wirken bedrückt, gestern wurden wieder Soldaten an die irakische Grenze ausgeflogen. Seitdem ist der Fluglärm fast verstummt. Wenig Starts, kaum Landungen. Viele von denen, die sich noch schnell von ihren deutschen Vermietern verabschiedet haben, sagen, dass es Krieg gibt. Manche offenbaren, dass dies ein „sinnloser Krieg“ sein werde. Wiedersehen ungewiss.

Im wenige hundert Meter entfernten Binsfeld rennt ein Junge in Militärhose einem Luftballon hinterher. Seine Mutter ist Deutsche, der Vater Amerikaner, momentaner Aufenthaltsort unbekannt. Anwohner und Geschäftsleute, die auf die Bedeutung der Airbase angesprochen werden, reagieren verunsichert. Zu viel hängt von der Anwesenheit der Amerikaner ab. Fast jeder in dieser strukturschwachen Region hat mit dem „Kriegsgeschäft“ zu tun. Als Zulieferer, Zivilangestellte oder Vermieter tragen Anwohner zur Funktionsfähigkeit des Luftwaffenstützpunktes bei. Dass es sie „belastet“, dass die nebenan gelagerte Munition bald über dem Irak abgeworfen werden könnte, erzählen sie nur zögernd. Denn die Amerikaner, das sind ihre Mieter und Kunden, Arbeitskollegen und Nachbarn, Freunde, mit denen sie Weihnachten feiern.

5.000 Soldaten und 7.000 Angehörige sind in Spangdahlem stationiert. Wer sich dem Ort nähert, ahnt davon nichts. Hier, 20 Kilometer westlich von Bitburg, soll einer der größten Militärflughäfen der USA sein? Hinter diesen sieben Bergen der Eifel vermutet man eher einen Freizeitpark. Doch von Spangdahlem starten A-10 Tarnkappenbomber. „Zwölf davon gingen beim Kosovokrieg jede Nacht hoch. Die kamen frühmorgens zurück, begleitet von F-16-Kampfjets“, erzählt ein Anwohner. Beladen waren sie mit „Panzerbrecher-Munition“, 4.000 Schuss pro Minute, mit einem Kern aus radioaktivem Uran-238, das beim Einschlag freigesetzt wird. Gelagert wird diese Munition, zusammen mit Nuklearsprengköpfen aus Zeiten des Kalten Krieges, nur wenige hundert Meter vom Kindergarten und der Grundschule Binsfeld. Auch im Golfkrieg 1991 wurden die Urangranaten eingesetzt. Bei irakischen Kindern im Raum Basra ist das Uran noch heute nachweisbar. Zehntausende sind an Leukämie, Nieren-, oder Leberversagen gestorben. Beim kommenden Golfkrieg werden es nach Schätzungen der Universität Toronto zusätzliche 35.000 Menschen sein, die noch lange nach Kriegsende an der Uranstrahlung sterben.

Doch auch im Umfeld der Airbase ist Krebs keine seltene Todesursache. Da von offiziellen Stellen hinsichtlich der Risiken nur Beschwichtigendes zu hören ist, hat ein Bürger auf eigene Faust recherchiert, wie in Binsfeld und den umliegenden Orten gestorben wird. Sein Ergebnis: In 95 von 97 Fällen soll Krebs in den letzten Jahren die Todesursache gewesen sein. Als Auslöser im Verdacht steht der von der Air Force verwendete Treibstoff JP-8. Besonders gefährlich soll er sein, wenn er unverbrannt eingeatmet wird, wie es bei Starts und Landungen oder beim Warmlaufen von Triebwerken im Umfeld von Flughäfen geschieht. „Unverantwortliche Panikmache! JP-8 ist harmloser als Autoabgase“, sagt der Ortsbürgermeister.

Pfarrer Leo Koch betreut seit acht Jahren die Katholiken der Region. Die inoffiziellen Krebszahlen decken sich mit seinen Beobachtungen. Auch er sieht den Zusammenhang zwischen Krebstoten und Airbase: „Auffällig ist vor allem, dass es viele junge Menschen trifft, kein Alterskrebs also, sondern Menschen die unter 60, unter 40 Jahre alt sind.“ Und der Pfarrer erzählt von der Ohmacht der Bürger, die schon vor Jahren gegen den Fluglärm – und aktuell – gegen die Enteignung ihrer Felder zum Zweck der Flugplatzerweiterung geklagt haben: „Die Leute sind verarscht worden, man hat sie über den Tisch gezogen, und kein Politiker, egal welcher Partei, hat ihnen geholfen.“

Von solchen Vorgängen hört Patti an diesem Nachmittag zum ersten Mal. Sie zählt zu den wenigen Amerikanerinnen, die ein Geschäft in Binsfeld betreiben: „Black Forest Clock Factory“, steht auf dem Eingangsschild. Schwarzwälder Uhren aus der Eifel. „Das Verhältnis zu den Deutschen ist gut“, sagt sie, „allerdings ist es dieser Tage sehr still geworden, weil alle wissen, dass der Krieg kommt.“ Dass in ihrer Nachbarschaft Landwirte enteignet werden, um die Airbase auszubauen, will sie nicht glauben. Fast hält sie es für einen Scherz, dass die US-Streitkräfte den Stützpunkt Rhein-Main im Jahr 2005 schließen und zum Teil hierher verlegen wollen. Nur 500 Meter vor den Häusern Binsfelds werden dann Transportmaschinen abgestellt. In gleicher Entfernung sollen an Testständen deren Triebwerke überprüft werden. Unter Vollauslastung würde der Abgasstrahl, angereichert mit unverbranntem JP-8, Binsfeld mit Windstärke 7 treffen. Nach Protesten erklärten sich die Betreiber bereit, eine Mauer zu errichten, die die Abgase „ablenken“ soll.

„Ob mit oder ohne Mauer, die Abgase werden in den Ort geblasen“, sagt Günter Schneider von der Bürgerinitiative der Erweiterungsgegner und blickt auf die Felder, die schon von seinen Vorfahren bewirtschaftet wurden. Vor zwei Wochen rückten Bautrupps aus Ostdeutschland an und rammten Stahlpfähle für den Zaun in den Boden, hinter dem die Airbase erweitert werden soll. Jetzt sieht er den Bauarbeitern dabei zu, wie sie Zaundraht über seinen Acker spannen.

Günter Schneider wird enteignet. „Zum Wohle der Allgemeinheit“, wie es im Grundgesetz heißt. 1,5 Hektar Land, 30 Prozent seiner Betriebsfläche, wird der Bund dem Landwirt nehmen. Humorvolle Kunden verlangten bereits nach „Kerosin-Eiern“ und „Kerosin-Milch“. Darüber kann Schneider schon lange nicht mehr lachen: „Früher war alles, was vom Ami kam, gut. Seitdem Spangdahlem aber nicht mehr der Friedenssicherung dient, sondern um Menschen den Tod zu bringen, fällt es uns schwer, mit jährlich 30.000 Flugbewegungen zu leben.“

Davon, dass die Airbase zunehmend als Bedrohung empfunden wird, erzählt auch sein Mitstreiter, der Malermeister Elmar Döhr: „Die Uranmunition, die die Iraker töten wird, kommt aus Spangdahlem. Und viele hier sind mitverantwortlich.“

In 95 von 97 Fällen soll Krebs in den letzten Jahren in Binsfeld und Umgebung die Todesursache gewesen sein

Auch Walter Valerius ist in Binsfeld geboren und sieht das Verhältnis zu den Amerikanern im Kriegsfall gefährdet: „Das Schlimmste wäre, wenn der Irak jetzt abrüstet, und der Ami haut trotzdem rein. Für uns wäre es das Ende einer großen Freundschaft.“ Etwas ratlos wirken die drei von der Bürgerinitiative, als die ostdeutschen Zaunarbeiter gegen Abend fertig sind. Der Bauwagen holpert über den Feldweg auf sie zu. Man sieht sich grußlos in die Augen, dann verschwindet der Bautrupp ins nächste Hotel.

Derweil sitzt Lothar Herres noch in seiner Amtsstube über der Sparkasse Binsfeld und bereitet die nächste Ratsitzung vor. An die Widerworte der Bürgerinitiative will er sich nicht gewöhnen. Vorerst hält er deren Einwände für „dummes Zeug“. Über 80 Prozent der Binsfelder haben das CDU-Mitglied zum Ortsbürgermeister gewählt. Als Ehrenkommandeur der Airbase weiß er, dass „das Militär nicht hier ist, um Murmeln zu spielen“.

Ohne den benachbarten Stützpunkt sähe Herres eine wirtschaftliche Katastrophe, aus der er keinen Ausweg wüsste. Moralische Bedenken hat er nicht: „Wenn die Munition nicht hier wäre, dann wäre sie woanders. Es ist Zufall, wenn die Bombe aus Spangdahlem kommt. Das ist halt militärisches Geschäft.“

An diesem Abend bleibt es ruhig in Binsfeld. Der Flugbetrieb ist wegen Erweiterungsarbeiten eingeschränkt. Für eine Region, die seit Bestehen der Airbase 26 Flugzeugabstürze verkraften musste, ein kurzer Trost. Doch wenn der Irakkrieg beginnt, das wissen die Bewohner, dann beginnt er auch hier.