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Archiv-Artikel

lippenbläschen auf spanisch von CHRISTIAN JÖRICKE

Der einzige spanische Satz, den ich kenne, stammt von einem Filmplakat aus den Achtzigerjahren. Unter einem von Kugeln durchsiebten Soldaten steht „La prima vittima della guerra é l‘innocenza“ – das erste Opfer des Krieges ist die Unschuld. Meistens ist es zwar eher der Verstand, aber auf jeden Fall passt es gerade ganz gut. Mit diesem Satz im Hinterkopf glaube ich mich ausreichend gewappnet für einen Aufenthalt in Barcelona.

Bei der Ankunft bin ich mir der reibungslosen Verständigung mit Einheimischen sogar ganz gewiss, denn an jedem zweiten Fenster, in Geschäften, an Schulen und an Krankenhäusern prangen Plakate und Transparente gegen den Krieg im Irak. Bevor ich jedoch meine Solidarität mit der spanischen Bevölkerung bekunde, die zu 85 Prozent anderer Meinung als ihr proamerikanischer Ministerpräsident José María Aznar sein soll, versuche ich in einer Apotheke eine Salbe gegen Herpes zu erwerben. Wenn man jedoch den spanischen Ausdruck für Lippenbläschen nicht kennt, steht man vor gewissen Schwierigkeiten. Schließlich stellen die geduldige Apothekerin und ich erfreut fest, dass Zovirax auch in Katalonien ein gebräuchliches Mittel ist. Meine Friedensbotschaft halte ich jetzt jedoch für unangebracht.

Nachdem die medizinische Versorgung gesichert ist, besichtige ich Barcelona und schaue mir zum Beispiel die Sagrada Família an, von der George Orwell einmal sagte, dass er sich wundere, dass die Anarchisten im Bürgerkrieg das hässlichste ihm bekannte Bauwerk nicht in die Luft gesprengt hätten. „La prima vittima della guerra é l‘innocenza“, denke ich noch, bevor ich erschöpft auf einer Kirchenbank einschlafe.

Als ich wieder aufwache, sind mein Geldbeutel und meine Kamera noch da. Hunger habe ich auch. Selbstverständlich möchte ich nicht in irgendeinen Touristenimbiss einkehren. Sechs schöne Restaurants sehe ich mir an, doch immer stört mich irgendetwas, schließlich lande ich in einem Touristenimbiss. Die Bedienungen sind unfreundlich, dafür ist das Essen schlecht und teuer. Angesichts der militanten Gedanken, die in mir aufsteigen, kann ich hier schlecht meinen pazifistischen Aphorismus loswerden.

Am letzten Tag sehe ich endlich meine Chance zur völkerübergreifenden Solidaritätsbezeugung gekommen. Es hat angefangen zu regnen und über einer der zahllosen Confiserien zieht ein älterer Herr ein „No a la guerra“-Laken zum Fenster herein. „La prima vittima della guerra é l‘innocenza“, rufe ich meinem katalonischen Bruder im Geiste zu, doch anstatt mir zuzustimmen, schaut er nur etwas befremdet und schließt das Fenster. Hat er mich nicht verstanden? Hat die spanische Regierung Repressalien gegen bekennende Kriegsgegner angedroht?

Nach meiner Rückkehr ziehe ich einen befreundeten Südeuropakenner zu Rate und schildere ihm die Situation. Der Experte meint, dass der Mann wahrscheinlich kein Italienisch verstehe. Auf fremdsprachigem Gebiet kann man mit mir offenbar keinen Krieg gewinnen, äh, verhindern, meine ich.