american pie : Im Homeland der Prüderie
Janet Jacksons Garderobenversagen lässt eine beachtliche Super Bowl in der medialen Versenkung verschwinden
In Boston und Umgebung freuen sich die Leute über den zweiten Super-Bowl-Gewinn der New England Patriots binnen drei Jahren, in Carolina lecken die knapp unterlegenen Panthers ihre Wunden. Der Rest des Landes redet über Janet Jacksons rechte Brust. Die war, von einem Plastiksternchen minimal bedeckt, während der Halbzeitshow für ein paar Nanosekunden sichtbar geworden, bevor die entsetzte Kamera hastig wegschwenkte und die Lichter schamhaft erloschen. Seither jagen sich im Homeland der Prüderie die Entschuldigungen aller Beteiligten nahezu im Minutentakt. Zutiefst bedauern die ungeheuerliche Oberweitenbefreiung natürlich auch Janet Jackson und Justin Timberlake, die ein verrucht gemeintes, aber ziemlich unbeholfenes Duett aufs Parkett gelegt hatten. Um der Darbietung, die wie eine Vorschulversion des alten Mick-Jagger-Tina-Turner-Klassikers wirkte, wenigstens etwas Würze zu verleihen, hatte der überforderte Schnulzbubi Timberlake an Jacksons Brustpanzer gerupft und ein bisschen zu viel davon erwischt. „Garderobenversagen“ nannte er seinen Touchdown später.
Der Aufschrei der Entrüstung war gewaltig, als moralingetränkter Oberidiot spielt sich Michael Powell, Chef der staatlichen Kommunikations-Kommission, auf und fordert harte Geldstrafen für die verantwortlichen Sender CBS und MTV. Er habe mit seinen zwei Kindern zugeschaut, fügte er so vorwurfsvoll hinzu, als habe der frühkindliche Anblick einer weiblichen Brust nunmehr den Weg der Sprösslinge in Drogensumpf und Kriminalität ein für alle Mal vorgezeichnet. Wie dem Nachwuchs der nach der Jackson-Entblößung ausgestrahlte Werbespot für ein Potenzmittel gefiel, in dem geraten wurde, sich in medizinische Behandlung zu begeben, wenn die Erektion mehr als vier Stunden dauert, verriet Powell im Übrigen nicht. Auch das Weiße Haus musste sich inzwischen zum „Flash of Flesh“ (New York Times) äußern. Sprecher McClellan ließ wissen, dass es „wichtig für die Familien sei, einen hohen Standard des Fernsehprogrammes erwarten zu können“. Wenigstens hat sich sein Arbeitgeber diesmal nicht an einer Brezel verschluckt.
Sauer sind die echten Football-Anhänger. Eine der besten, spannendsten und taktisch interessantesten Super Bowls aller Zeiten – und alles dreht sich bloß um Janet Jackson. Schon wird die Forderung erhoben, die immer aufwändigeren Halbzeit- und Pre-Game-Shows, bei denen diesmal neben dem Ripper Timberlake auch die Rapper P. Diddy, Kid Rock und Nelly, sowie die Herren von Aerosmith auftraten, abzuschaffen und zum Wesentlichen zurückzukehren, dem Football. Was zum Beispiel wird aus den Patriots, fragen sich die Fans in New England? Werden sie, wie beim letzten Mal, im Gefolge des Triumphes die Play-offs verpassen – ein Schicksal, das zuletzt auch die Super-Bowl-Gewinner von 2003, die Tampa Bay Buccaneers ereilte? Oder haben sie das Zeug dazu, eine Dynastie zu begründen, wie die Dallas Cowboys in den Neunzigern, und zuvor die San Francisco 49ers?
Bei aller Ausgeglichenheit der National Football League stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Mannschaft von Coach Bill Belichick, nunmehr seit 15 Spielen ungeschlagen, auch kommende Saison um den Titel spielt. Quarterback Tom Brady ist erst 26, der Kern des perfekt eingespielten Teams dürfte gehalten werden können, und beim nächsten Draft haben die Patriots gleich vier der 64 Top-Picks. Gut möglich also, dass die strahlenden Sieger der Super Bowl 2004 in Houston auch bei der nächsten Auflage mit von der Partie sein werden. Garantiert nicht dabei: Janet Jackson. MATTI LIESKE