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Archiv-Artikel

Der Dribbelgott, der das Wollen will

Allan Simonsen plant, mit Luxemburgs Nationalteam endlich den ersten Sieg seit 1995 einzufahren

Luxemburg: Die Nummer 143 der Fifa-Rangliste – das Land, wo das Verlieren zu Hause ist

FREIBURG taz ■ Der Mann, der sich mit „Allan“ am Telefon meldet und dessen Stimme immer noch wie die eines kleinen Jungen klingt, warnt: „Pass auf, du fährst voll in die Pampa.“ In Moncerange, 20 Kilometer östlich von Luxemburg-Stadt, wartet Allan Simonsen. Und während das neue Centre National de Football (CNF) des Luxemburger Fußballverbands in den Blick kommt und ein Traktor nach dem anderen überholt wird, schleichen sich Gedanken an früher ein: Die Erinnerung an die Borussia der 70er-Jahre, das Gladbach des Hennes Weisweiler. Eine Zeit, in der die Mannschaft vom Bökelberg Meisterschaften und Europapokalsiege feierte und Essays über Fohlen Einzug in deutsche Feuilletons fanden. Der Kleinste war Gladbachs Größter. Damals, im Jahr 1977, wurde er zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Ihn und andere Fußballer gab es auf kleinen Bildchen zum Einkleben in Alben. Der Dribbelgott aus Dänemark war der Lieblingsspieler einer ganzen Generation von Bildchensammlern. Elf Dubskis gaben einen Simonsen.

Die dreistöckige Moderne der CNF, die in dieser bäuerlichen Gegend wie ein Esel auf dem Ku’damm wirkt, bremst die Gedanken jäh in der Gegenwart. Seit Januar letzten Jahres ist Allan Simonsen Fußballnationaltrainer des 433.000 Einwohner zählenden Großherzogtums. Er ist immer noch 165 cm winzig und 60 kg leicht. Simonsen hat eine große Mission zu erfüllen. Seit dem 6. September 1995 hat die Auswahl kein Spiel mehr gewonnen. Damals schoss ein Spieler namens Luc Holtz das Tor zum mickrigen 1:0 gegen die Fußballgroßmacht Malta. In den nächsten Tagen stehen zwei Spiele in der Qualifikation für die EM 2004 in Portugal auf dem Programm.

Allan Simonsen, der die lange blonde Mähne von einst gegen eine schwarze Kurzhaarfrisur eingetauscht hat, schaut aus dem dritten Stock des CNF-Gebäudes hinunter auf die drei Trainingsplätze. Dahinter stehen drei Kühe auf dem Acker. Er drückt aus, was alle wissen: „Wir werden diese Spiele verlieren.“

Acht Jahre war er Coach auf den Färöer Inseln. Er ist gern dort, wo es nichts zu verlieren gibt. Auf den Färöern ist die Rechnung aufgegangen. Zehn Spieler leben jetzt als Profi im Ausland. Ein Stadion für Länderspiele wurde gebaut, und Simonsen freut es diebisch, wenn sein alter Kumpel Berti Vogts mit den Schotten dort nur unentschieden spielt. „Das sind keine Witzfiguren mehr“, stellt er fest. Mehr war nicht drin. Jetzt also Luxemburg: Die Nummer 143 der Fifa-Rangliste – das Land, wo das Verlieren zu Hause ist.

Am Ende der 17-jährigen Ära des Simonsen-Vorgängers Paul Phillip schleppten zumeist ältere Herren ihr Bäuchlein durch die Stadien Europas. „Die waren satt“, sagt Simonsen. Und da sie nicht mehr abnehmen wollten, läutete der inzwischen 50-jährige Däne den Umbruch ein. Die alten Säcke raus, die jungen Hüpfer rein. Er will Spieler, die „gern das Wollen wollen“. Taktisch und technisch müssen sie „gut fundiert sein“. Nach einem Jahr gibt er zu: „Es gibt nicht viele Spieler mit diesen Ingredienzen hier.“ Jeff Strasser in Gladbach ist der einzige aktuelle Nationalspieler, der sein Geld im Ausland verdient. Aber Simonsen ist überzeugt: „In zwei Jahren können einige ins Ausland gehen. Ich werde sie dahin bringen.“ Nicht mit der Methode Weisweiler, die er als „brechend hart“ empfand. „Hier sind alle Amateure. Man kann nicht alles von den Jungs verlangen“, gibt er zu bedenken.

Er weiß, wo der Hebel anzusetzen ist. Anders als die Fischer von den Färöer Inseln zeigen die Bankkaufmänner von Luxemburg große Schwächen im physischen Bereich. Deshalb bittet er seine Nationalspieler zweimal pro Woche zum zusätzlichen Training. Intensive Jugendarbeit, das Fördern einer neuen Generation, schreibt er sich auf die Fahne.

Das Deutsch des ehemals wieselflinken Stürmers ist prächtig. Nur manchmal findet er nicht das richtige Wort, einmal, als er erklärt, warum er lieber kleine Verbände trainiert statt große Vereine, da spricht er vom „Privileg des roten Drahts“. Ganz so, als wolle er unbewusst zum Ausdruck bringen, wie dornig der Weg in Luxemburg für ihn doch ist. Simonsen spürt den Argwohn der Alteingesessenen. Und doch ist er überzeugt: „In ein, zwei Jahren sind wir wieder in der Lage Malta zu schlagen.“ Aber Simonsen weiß auch: „Hier gibt es noch oft was auf die Schnauze.“ TOBIAS SCHÄCHTER