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Archiv-Artikel

Nur Unwichtiges ist unumstritten

Wie könnte die Rolle der EU beim Wiederaufbau des Irak aussehen? Soll sie sich daran überhaupt beteiligen? Die Gemengelage ist, wie so oft in der Union, verwirrend

BRÜSSEL taz ■ Emma Udwin, Sprecherin von Außenkommissar Chris Patten, wird von Brüsseler Journalisten dieser Tage immer das Gleiche gefragt: Wie sehen die Nachkriegspläne der Europäischen Union für den Irak aus? Udwin, die ihren Job ansonsten souverän und freundlich versieht, reagiert zunehmend gereizt auf das Thema Nummer eins. „Reconstruction within UN-Mandate“, also Wiederaufbau im Rahmen eines UN-Mandats – das sei die offizielle Position der EU-Kommission, und etwas anderes werde man von ihr nicht hören.

Wie ein altes Ehepaar

Vom Chef der Kommission aber schon. Romano Prodi referiert gern und ausführlich über die „humanitäre Hilfe“, für die Brüssel 100 Millionen Euro bereit stellen wolle. Eng arbeite man mit dem Internationalen Roten Kreuz zusammen, das die Hilfsgüter im Norden verteile und mit der Nichtregierungsorganisation „Première urgence“, die noch Mitarbeiter im Landesinneren habe.

Wie ein altes Ehepaar, das Konflikte nicht ausdiskutiert, sondern tot schweigt, redet Prodi von der Notversorgung der Zivilbevölkerung und Patten von der Nachkriegsordnung, ohne dass der eine die Ideen des anderen kommentiert. Die Staats- und Regierungschefs tun das Gleiche. In ihrer gemeinsamen Irakerklärung vom 20. März erwecken sie zwar den Eindruck, der aktuelle Streit um den Krieg werde ausgespart zugunsten eines gemeinschaftlichen Konzepts für die Nachkriegszeit. Bei näherer Betrachtung aber lässt der als Meisterstück griechischer Diplomatie gelobte Text die entscheidenden Fragen offen.

Die UN müsse während und nach der derzeitigen Krise „eine zentrale Rolle“ spielen. Sie habe einzigartige Resourcen und Erfahrung, „Hilfsleistungen“ in Nachkriegsstaaten zu koordinieren. Dafür solle der Sicherheitsrat den Vereinten Nationen ein starkes Mandat geben. Die zentrale Frage wird dabei sorgfältig ausgespart: Unter wessen Regie wird der Irak nach dem Krieg wieder aufgebaut, und wer organisiert die politische Nachkriegsordnung?

Die Gemengelage der Interessen ist dabei – wie oft in der EU – äußerst verwirrend. Tony Blair braucht ein starkes UN-Mandat für die Zeit nach dem Krieg, um seine innenpolitischen Kritiker zu besänftigen. Jacques Chirac will alles verhindern, was dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nachträglich ein rechtfertigendes UNO-Mäntelchen umhängt.

Lukrative Aufträge

Am Donnerstag allerdings, als Tony Blair in Camp David mit George W. Bush konferierte, schlug Chirac versöhnlichere Töne an und brachte die UNO wieder verstärkt ins Spiel. Ihr komme „eine zentrale Rolle bei der Regelung der Krise und ihrer Folgen“ zu. Bereits am Vortag hatte sein Außenminister erklärt, Paris biete im Fall eines Chemiewaffenangriffs seine Hilfe an. Dahinter steckt sicher auch die Sorge, Frankreich könnte sich mit einer Totalverweigerung selbst ausbremsen und um lukrative Aufträge beim Wiederaufbau des Irak bringen.

Bush möchte im Gegensatz zu seinem Bündnispartner Blair die UNO nicht an der politischen Nachkriegsplanung beteiligen. Das machte er auch in Camp David am Donnerstag deutlich – sehr zum Unbehagen seines Gastes aus London. Den Neubau der irakischen Nation möchte Bush nach amerikanischem Schnittmuster gestalten. Für die UN bliebe nichts zu tun, als die Verteilung von Hilfen zu koordinieren – darin hat sie ja beim Programm „Öl für Nahrungsmittel“ bereits Erfahrung gesammelt.

Die Bundesregierung gibt sich ähnlich wie Frankreich wortkarg, was konkrete Wiederaufbaupläne angeht. Die beiden stärksten Kriegsgegner in der Europäischen Union wollen sich keinesfalls damit abfinden, dass die USA und Großbritannien das Land kaputt schlagen und die gesamte Union es danach wieder aufbaut. Dennoch wissen alle, dass die Arbeitsteilung sehr wahrscheinlich genau so aussehen wird. Auch in Palästina liefert die Europäische Union zähneknirschend neue Computer in Bürogebäude, die von israelischen Geschossen getroffen wurden – ohne Israel die Rechnung dafür zu präsentieren.

Inzwischen weitet sich der Streit um den Angriff auf den Irak zu einer Grundsatzdebatte über die künftige gemeinsame Verteidigungspolitik aus. Während in einigen Hauptstädten – unter anderem vom deutschen Bundeskanzler – mehr finanzielle Anstrengungen im Rüstungsbereich gefordert werden, um der amerikanischen Überlegenheit eigene Kräfte entgegen zu setzen, halten viele Linke diese Forderung für das falsche Signal. Die Parteivorsitzende der Grünen, Angelika Beer, sagte, angesichts sinkender Sozialausgaben sei eine Steigerung im Rüstungsetat nicht vermittelbar.

DANIELA WEINGÄRTNER