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Archiv-Artikel

Als das Rocken noch geholfen hat

Dass Heavy Metal einmal mehr war als dauergewellter Stadionrock, kann man auf der neuen Platte „Probot“ mit Dave Grohl wiederentdecken. Das korrigiert auch die pophistorische Vereinfachung von Heavy Metal als Befreiung aus der Pubertät, wie sie die Filmkomödie „School of Rock“ propagiert

VON THOMAS WINKLER

Er ist es. Nicht zu übersehen. Hat sich kaum verändert. Ist ganz der Alte geblieben. Immer noch ein bisschen tollpatschig, aber mit Hang zur großen Klappe. Ja, doch, ganz sicher, er ist es. Hi, Rock, wie geht’s denn so? Prächtig, prächtig. Zumindest auf „Probot“. Und in „School of Rock“. Ersteres ist eine wohltuend hart rockende Platte, Zweites eine recht klamaukige Filmkomödie. Gemeinsam ist beiden: Hier wiederersteht Rock, wie er einmal gemeint war.

Für „Probot“ hat Dave Grohl, Ex-Nirvana-Trommler und mittlerweile Mastermind der ungemein erfolgreichen Bubblegum-Rockband Foo Fighters, nahezu im Alleingang in acht Tagen elf Instrumentaltracks eingespielt. In den drei folgenden Jahren gelang es ihm, die Sänger von elf seiner Lieblingsbands zu gewinnen, diese Songs zu betexten und zu besingen. Die meisten der Helden aus Grohls Jugend mögen ihre besten Tage hinter sich haben. Im Geschäft aber sind sie alle noch, ob nun Cronos von den Black-Metal-Pionieren Venom, Scott „Wino“ Weinreich, mit Bands wie St. Vitus oder Spirit Caravan Protagonist des Zeitlupen-Metal, oder der unverwüstliche Lemmy von Motörhead.

In „School of Rock“ gibt Komiker Jack Black, zuletzt mit der akustikgitarrenbewehrten Fake-Metal-Band Tenacious D, erfolgreich einen gescheiterten Heavy-Metal-Leadgitarristen, der sich als Aushilfslehrer an einer Elitegrundschule einschleicht, um dort eine Klasse Elfjähriger zu einer formidablen Rockband zu formen, die den örtlichen Battle of the Bands gewinnen soll.

Dass da manche Sangeseinlage an das Grunzen eines Schweines gemahnt und das eine oder andere Gitarrensolo nicht mehr enden will, dass Jack Blacks Haare fettig quer auf der Stirn pappen und mancher Gag unter der Gürtellinie platziert ist, ist volle Absicht. Hier hat Rockmusik noch Schweißgeruch, und das ist logisch, denn schließlich ging es bei der Musik ja mal vornehmlich um die Einleitung des Austauschs von Körperflüssigkeiten.

Und genau da haben wir heute das Problem: Worum geht es eigentlich noch? Als der Rock, von dem „Probot“ oder „School of Rock“ handeln, noch eine gesellschaftliche Bedeutung hatte, war Disco die einzige sexualisierte Musik von Relevanz. Aber Disco hörten damals nur Schwule, Mädchen und notgedrungen die Freunde von Mädchen, die Disco hörten. Für den traurigen Rest galt: Rock, das war die Musik der Verklemmungen. Der pubertäre Schrei nach Befreiung von der pickelbewehrten Pein der Peinsamkeit. Mit Rock hatte man keinen Sex, mit Rock war man darüber sauer.

In den späten Siebzigern und frühen Achtzigern verschärfte sich die Situation zunehmend, blieb doch zwischen lila Latzhosen und Baumsterben kaum ein Ventil zum Ablassen von Testosteron. Als Rettung blieb: Heavy Metal. Nun, vielleicht nicht als Rettung, aber doch als vertretbarer Kompromiss. Zumindest die Gitarrenriffs gingen gut ab, und das Geknüppel der Rhythmusgruppe war schon fast Punkrock. Es gab allerdings auch einige Nachteile: Die Haare wuchsen nur sehr langsam auf angemessene Länge, das Mystikgeschwafel ging einem auf die Nerven, und die Stretchjeans kniffen im Schritt. Aber das Schlimmste war: der Eunuchengesang. An den konnte man sich auch beim besten Willen nicht gewöhnen. Oder anders: Wer nicht nur in Kauf nahm, sondern sogar begeistert mitsang, wenn Ronnie James Dio die Stimmbänder zum „Rainbow in the Dark“ verknotete, der war endgültig verdammt zu einem Leben in der Vokuhila-Hölle. Es gab Ausnahmen. Obwohl: eigentlich nur Blue Oyster Cult. Der Ausweg war das sich zunehmend bevölkernde Niemandsland zwischen Metal und Punk: Dort warteten all die Bands, deren Sänger auf „Probot“ versammelt sind. Und noch ein paar mehr wie Slayer, deren Tom Araya nur aus organisatorischen Gründen nicht Teil von „Probot“ wurde, oder später Metallica, die die Nische nun zum Millionen Dollar schweren Erfolgsrezept ausgebaut haben.

Wenn aber „My Tortured Soul“ – trotz des Gesangs von Eric Wagner von Grohls ganz persönlichen Favoriten Trouble – klingt wie ein Song von Soundgarden, einer der letzten Bands, die mit einigem Erfolg Heavy Metal seiner Klischees entkleidete, dann wird Grohl von seinen guten Intentionen verlassen, seinen Helden möglichst ungebrochen zu huldigen. Stattdessen wird überdeutlich ausbuchstabiert, woher Grunge seine Einflüsse bezog, ohne dass das damals irgendjemand – weder seine Produzenten noch seine sprunghaft ansteigenden Konsumenten – wirklich wahrhaben wollte.

Auch „Ice Cold Man“, für das Lee Dorrian seine Stimmbänder quält, klingt weniger nach dessen Death-Metal-Bands Napalm Death oder Cathedral, sondern verteufelt nach den Melvins, denen wiederum nachgesagt wird, schuld an Seattle zu sein, wo wiederum Grunge entstand, der eine gewisse Band nach oben spülte, deren Sänger sich nach unverkraftbar großem Erfolg per Schrotflinte enthauptete und so einen Trommler in die künstlerische Freiheit entließ, wo dieser nie erwartbare Talente entfaltete. So kommt eins zum anderen, alles hängt mit allem zusammen, und man muss aufpassen, davon nicht ausgeschlossen zu werden. Vor kurzem galt es als ausgemacht, wenn es schon Metal sein musste, Judas Priest noch halbwegs okay finden zu können.

Dass damals, als Rocken noch geholfen hat, aber noch mehr war als nur dauergewellter Stadionrock, das hilft „Probot“ wiederzuentdecken. Grohl hat den ersten Schritt getan und wird womöglich auslösen, was David Sylvian vor knapp zehn Jahren für den Krautrock geleistet hat: ein vormals zumindest vergessenes, wenn nicht sogar ästhetisch erledigtes und pophistorisch marginalisiertes Genre aus dem schwarzen Loch hervorzuholen.

Manches aber geht dann doch zu weit. So wie „School of Rock“, in dem die längst gut abgehangene Idee, Rock zur Selbstermächtigung des Individuums gegen die bösen Autoritäten einzusetzen, reaktiviert und dabei nur oberflächlich ironisiert wird. Eigentlich meint es Jack Black bitterernst, wenn er an seine Schüler als Hausaufgaben CDs verteilt, die eben nicht nur von den Ramones und Led Zeppelin stammen, sondern auch von Yes. Da spätestens fragt man sich, ob man nun wirklich auch noch jenem Teil der verschütteten Vergangenheit so dringlich wieder begegnen möchte.