: Nirgendwo Bezugspunkte
Zwangsheirat mit Hindernissen: Wirtschaftswissenschaften lehnen Fusion mit der benachbarten HWP ab. Auch Soziologie und Journalistik könnten unter die Räder kommen. Dräger macht Druck durch Berufungsstopp
von KAIJA KUTTER
Der umstrittenste Part des Dohnanyi-Berichts ist die Fusion der HWP mit den Wirtschaftswissenschaften. Sie sollen sich unter Einschluss der Sozialwissenschaften zu einer „Sektion“ vereinen. Wobei Soziologie und Journalistik zur Schließung vorgeschlagen werden.
Am Fachbereich Wiwi findet man dazu deutliche Worte: „Die Fusion kann weder wissenschaftlich noch praktisch begründet werden“, sagt Professor Karl-Werner Hansmann. Die HWP habe einen sozialwissenschaftlichen Ansatz und „nirgendwo Bezugspunkte“ zum anspruchsvollen methodischen Studium seines Fachbereichs. Hansmann: „Wir passen von der Fusionskultur her nicht zusammen. Sinnvoller wäre ein Zusammenschluss mit der Informatik und Mathematik.“ Bei einer HWP/WiWi-„Sektion“ fürchtet Hansmann eine Absenkung des Niveaus „schon im Grundstudium“ und Probleme bei der Gremien-Zusammensetzung.
„Es würde mit 10.000 Studierenden ein Mega-Fachbereich entstehen“, kritisiert auch Wiwi-Pro-Dekan Wolfgang Maennig. „Dieser würde die optimale Betriebsgröße überschreiten und wäre nicht mehr führbar.“ Im Wiwi-Gebäude ist man überzeugt, dass es dem politischen Senat hier letztlich nur darum geht, die HWP auf elegante Art abzuwickeln, um ein Symbol zu schaffen. Maennig: „Beide Ausrichtungen stoßen auf eine Nachfrage und sollten deshalb weiter bestehen.“
Anspielungen auf Niveau-Unterschiede kontert HWP-Präsidentin Dorothee Bittscheidt mit einem Verweis auf das Focus-Ranking vom Herbst, wo die HWP weit vor den Wiwis landete. Und es gibt andere Rankings, wo die kleine HWP gar nicht erfasst ist. „Die wissen so wenig von uns, da gibt‘s viele Vorurteile“, sagt Bittscheidt, der vor allem an einem gelegen ist: „Die HWP möchte ihre inhaltliche Struktur und ihr Profil behalten und nicht aufgeben.“ Die widerspenstigen Partner sollen nun einen externen Moderator bekommen. Beide, HWP wie Wiwis, würden in die Gespräche mit einem Ziel gehen: „Retten, was zu retten ist.“
Bald nicht mehr zu retten sind die vakanten Lehrstühle der Sozialwissenschaftler im Pferdestall. Hier stoppte Wissenschaftssenator Jörg Dräger die Berufung von vier Professuren für ein Zentrum zu Globalisierungsfragen, auf deren Besetzung die Kollegen verzweifelt warten. 1989 hatte die Soziologie noch 15 Professuren, heute sind es sechs, die knapp 1000 Hauptfachstudenten betreuen. Das neue Zentrum könnte in die Stadt „hineinstrahlen“, wie es vormals die seit 1998 verwaiste Stadtsoziologie tat, hofft Rolf von Lüde, einer der sechs Soziologie-Professoren. Er kann sich nicht vorstellen, wie eine Stadt „ohne sozialwissenschaftliche Analysen und Empfehlungen“ ihre Zukunftsperspektiven gestalten will. Er verweist auf ein Hochschulkonzept des Collège de France, das kulturell und sozial wichtige, aber wirtschaftlich nicht rentable Fächer schützt.
Dohnanyi hat den Sozialwissenschaften eine niedrige Studienerfolgsquote attestiert. Stimmt nicht, sagt von Lüde, die Quote liege im Vergleich zu anderen Fächern bei akzeptablen 65 Prozent. Auch habe sich die Kommission nicht ernsthaft mit dem Arbeitsmarkt befasst. Während etwa die Arbeitslosigkeit von Diplomkaufleuten seit 1989 anstieg, ist die von Soziologen gesunken. Lüde: „Soziologen haben einen schwierigen Berufseinstieg, aber dann gute Chancen im Job.“
Ähnlich lieblos ging die Kommission mit dem Hauptfach Journalistik um, das für die private Media School geopfert werden soll. Zugezählt zum Aufgabenfeld Medien, wurde ihm eine mickrige Erfolgsquote von 50 Prozent unterstellt. In Wahrheit aber hat die Journalistik eine „positive Schwundquote“. Weil Studierende hier eine Perspektive sehen, kommen im Studienverlauf mehr hinzu als gehen.