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Archiv-Artikel

Zwischen den Rillen Selbstherrlicher Kleinfürst

Überraschend frisch und gut gelaunt: Mark E. Smith auf „The Real New Fall Album Formerly ‚Country On The Click‘ “

Mark E. Smith ist ein Patriarch. Ein Kleinfürst, herrisch, selbstherrlich, unberechenbar. Interessanterweise aber ist Mark E. Smith ein Patriarch ohne Autorität. Seit Ende der Siebziger ist er der Kopf der Band The Fall – benannt nach dem berühmten Camus-Buch: einer Band, die keinen Punk spielt, keinen New und keinen No Wave, die Keyboards und Geigen einsetzt, Ballette schreibt, dabei allerdings immer Rock ist: Rock in der Sex-’n’-Drugs-Variante, mit öffentlichen Dramen und öffentlichem Elend.

Vor über 25 Jahren sah Mark E. Smith noch sehr gut aus, ein Schlacks in Pullovern mit V-Ausschnitt, die ihm aber nichts Studentisches verliehen, ein Mann, der auf der Bühne oft mit den Händen in den Hosentaschen stand oder schrie, bis sich der Hals verspannte und die Speicheltropfen flogen, der auf Fotos trotzig-albern den Mund spitzte und die Wangen einzog. Trotzdem sah Mark E. Smith allerdings immer aus wie ein verhinderter Gentleman, darin dem frühen John Lydon nicht unähnlich.

Smith sang seltsame Texte, zischte die Wörter und redete merkwürdigen Quatsch. So behauptete er, als ihn seine damalige Gattin und vor allem ebenbürtige Mitmusikerin Brix „E.“ Smith verließ, er könne eh besser Geige spielen als jener Nigel Kennedy, mit dem diese Frau nun eine Affäre habe. Oder aber er forderte allen Ernstes, dass die britische Flotte respektiert und vor allem verstärkt werden müsse – man wisse ja nie, was sich die Spanier noch so einfallen ließen.

Mark E. Smith ist Fußballfan, er trinkt viel Bier und soll den Amphetaminen nicht abgeneigt sein. Er verprügelt nicht selten die jeweiligen Mitglieder seiner Band, nimmt Hotelzimmer auseinander und ist inzwischen bei Auftritten manchmal so tatterig, dass er eine helfende Hand braucht, um die Bühne verlassen zu können. Er ist vielleicht ein Frauenfeind, vielleicht ein Faschist, vielleicht ein Sozialist, vielleicht ein Patriot, vielleicht genial, vielleicht ein Schwein, vielleicht arrogant, vielleicht freundlich, er ist vielleicht ein Psychopath, und vielleicht ist er ein Vertriebener oder ein Desorientierter. Er hasst England, und er kann nirgends anders hin. Er macht gute Witze über Deutschland. Er macht gute Witze über die USA. Er macht gute Witze über sich. Zu Ehrungen seiner vornehmlich britischen Fangemeinde verhält er sich wie der späte Stalin zu den Ehrungen der Partei – er nimmt sie zur Kenntnis, er nimmt sie nicht an.

Mark E. Smith ist ohne Autorität, denn man versteht ihn nicht. Er lallt, und Gerüchten zufolge hat er kaum noch Zähne im Mund. Seine Fangemeinde weiß nicht vorherzusagen, was Smith denkt, in Interviews, so er welche gibt, überrascht er stets. Seine Texte sind auch niedergeschrieben oft eher Produkte der Glossolalie, er erscheint unwillig, hilft der rührend um die Band besorgten Fan-Website (www.visi.com/fall) nicht die Bohne, stellt keine Texte zur Verfügung und äußert sich nicht. John Peel, ein großer Fan der Band, berichtet, dass er, wenn er MES, wie manche Fans Smith nennen, treffe, nicht wisse, was man sich sagen solle, man knuffe sich an die Schulter und gehe weiter, das genüge.

Mark E. Smith ist ein Aristokrat. Das beweist die neuste Fall-Platte, „The Real New Fall Album Formerly ‚Country On The Click‘ “ ein weiteres Mal. Mit der neuen Besetzung, zu der mit Elini Poulou wieder eine Frau gehört, ist es noch einmal gelungen, die Band einerseits wie The Fall klingen zu lassen – die Songs sind stoisch, auch ohne den Gesang am Sound recht schnell als The Fall erkennbar. Andererseits ist das, was man zu hören bekommt, keineswegs altbacken. Es hat Tradition, doch die ist, wenn man so will, Familiengeschichte.

Der Gesang des merkwürdigen Patriarchen stellt eine Mischung aus Murmeln, Mümmeln, Grummeln und Zischeln dar, und ist trotzdem charismatisch und einnehmend. Und man kann auf dieser Platte sogar ganze Texte verstehen. Schön etwa ist das beinahe Folksong-artige „Janet, Johnny + James“, zornig ist „Contraflow“, in dem es immer und immer wieder heißt: „I hate the countryside so much“. Und mit „Loop 41‚ Houston“ findet sich sogar die übliche, in diesem Fall von Lee Hazelwood komponierte Coverversion auf der Platte.

Wie immer machen The Fall einen zu langsamen Rock, der trotzdem dynamisch ist: Melodiearme Songs, deren Monotonie unglaublich eindringlich ist. „The Real New Fall Album Formerly ‚Country On The Click‘“ ist nicht das beste Album im letzten Vierteljahrhundert der Band, doch es ist sehr gut und fast überraschend frisch und gut gelaunt. Wer nach den letzten Tourneen dachte, dass MES es bald hinter sich hat, der sieht sich getäuscht. Dieser König ohne Land hat noch einiges vor. JÖRG SUNDERMEIER

The Fall: „The Real New Fall Album Formerly ‚Country On The Click‘“