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Versperrte Bildung

Rat der islamischen Gemeinden lädt Politiker in Moschee ein, wo diese zu Wahlprüfsteinen Stellung nehmen. Muslime fordern Bildungschancen

„Von der Kita über die Schule bis zur Lehrstellensuche stehen unsere Kinder in der letzten Reihe“

Von EVA WEIKERT

„Wie wollen Sie die Benachteiligung unserer Jugendlichen bei der Lehrstellensuche mildern?“ Oder: „Was tun Sie für Chancengleichheit in der Schule?“ Das sind häufige Fragen an diesem Donnerstagabend. Der Rat der islamischen Gemeinden, die Schura, hat unter der Überschrift „Wen wählen die Muslime?“ Politiker der Hamburger Parteien in die afghanische Ibrahim-Khalil-Moschee nach Billstedt eingeladen. Rund hundert Muslime füllen den Saal. Neben Kopftuchverbot und Überwachung durch den Verfassungsschutz ist es das Thema Bildung, das sie an diesem Abend immer wieder umtreibt. „Gebt uns mehr Bildungsbeteiligung“, appelliert ein Besucher an die Parteienvertreter.

Es sind fast ausschließlich Männer, die auf dem Boden des Gebetssaals sitzen mit dem Blick auf das Podium. Dort nehmen Reinhard Soltau (FDP), Bettina Machaczek (CDU), Christian Bernzen (SPD), Antje Möller (GAL) und Yavuz Fersoglu (Regenbogen) die Sorgen der Muslime zur Kenntnis und geben Stellungnahmen ab zu Wahlprüfsteinen wie dem Kopftuchverbot für Lehrerinnen und der Einrichtung eines Lehrstuhls für islamische Theologie, die die Schura aufgestellt hat. Deren Vorsitzender Mustafa Yoldas verkneift sich bei der Vorstellung der Vertreter von CDU und FDP nicht den Hinweis, die Regierungspartner hätten dem Rechtspopulisten Ronald Schill zur Macht verholfen.

Allein für die CDU kündigt Machaczek an, „wir werden das Tragen des Kopftuchs wohl verbieten“, während sich die anderen Parteienvertreter für die Tolerierung des religiösen Symbols aussprechen. Einig ist sich das Podium hingegen über die Notwendigkeit eines Lehrstuhls für islamische Theologie, am Besten an der hiesigen Uni. Als dann das Publikum Fragen und Forderungen stellen darf, ist die Religion plötzlich nicht mehr Thema.

Er sei nicht gekommen, „um über Religion zu reden“, sagt ein Muslim: „Wir brauchen Bildung.“ In Hamburg gäbe es „zu wenig Angebote für unsere Kinder, besser Deutsch zu lernen“. Diese stünden „von der Kita über die Schule bis zur Lehrstellensuche in der letzten Reihe“. Auch ein anderer Mann beklagt, „unsere Kinder haben nicht dieselben Bildungschancen“, und warnt: „Viele stürzen ab.“ Ein weiterer Zuhörer fordert darum, „die Situation unserer auszubildenden Jugendlichen zu verbessern“. In Hamburg bricht nach Expertenschätzungen ein Fünftel der Schüler ausländischer Herkunft die Schule ab, nur 15 Prozent schaffen Fachhochschulreife oder Abitur.

Die Podiumsgäste müssen sich auch den Vorwurf anhören, in Hamburg herrsche eine „restriktive und zunehmend feindliche Atmosphäre“ gegenüber Muslimen. Der Schura-Vorsitzende Yoldas will die Haltung der Politiker zu den „für uns so bedrückenden“ Anfragen des Verfassungsschutzes hören. Dessen Bericht nenne zahlreiche Schura-Vereine, obgleich es keine konkreten Vorwürfe gäbe. „Der Verfassungsschutz ist politisch motiviert und muss abgeschafft werden“, fordert Fersoglu für die Wahlplattform Regenbogen, während die anderen auf dem Podium die Legitimität des Organs betonen. Seit den Anschlägen vom 11. September stünden Muslime „unter Generalverdacht“, empört sich ein Zuhörer und fragt: „Wann hört dieser Quatsch endlich auf?“

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