ein arabisches tv-tagebuch : Sélim Nassib über den Irakkrieg auf al-Dschasira
Willkommen im Hotel Palästina
„Weder Saddam noch Amerika!“ Mit diesem Slogan ziehen tausende von Demonstranten skandierend durch die Straßen von Nassirija, wo sie sich zum ersten Treffen der wiedervereinigten irakischen Opposition versammeln. Al-Dschasira meldet, dass die einflussreichste schiitische Organisation sich geweigert hat, an diesem Treffen teilzunehmen. Selbst Ahmad Chalabi, das Lieblingskind des Pentagon, der nach dem langen Exil zurückgekehrt ist, um dem neuen Irak ein Gesicht zu geben, hat es vorgezogen, dem Geschehen fern zu bleiben, weil er befürchtet, dass er dort als amerikanischer Agent angesehen werden könnte.
Für den Sender aus Katar steht fest, dass die USA nun, da sie den Krieg gewonnen haben, in Bagdad eine Regierung installieren werden, die ganz in ihrem Dienst steht. Die sich häufenden Warnungen an Syrien werden unter dem gleichen Gesichtspunkt gezeigt: Die Drohungen von Bush, Rumsfeld und anderen dienen keineswegs der Förderung einer demokratischen Regierung in Damaskus, sie sind vielmehr Ausdruck amerikanischer und besonders israelischer Interessen.
So gehen Bilder von Ariel Scharon und seinem Verteidigungsminister über den Sender, während der Ansager ihre an die US-Administration gerichteten Forderungen noch einmal aufzählte: ein Ende der syrischen Unterstützung für die libanesische Hisbollah, der Abbruch der Beziehungen zum Iran, die Vertreibung der Führer der beiden palästinensischen Organisationen, Hamas und Islamischer Dschhad, aus Damaskus. Tatsächlich scheint die Meinung der arabischen Öffentlichkeit durch die Politik der USA aufs Bequemste in ihrem ältesten Urteil bestärkt zu werden: dass es eine amerikanisch-israelische „Verschwörung“ gegen die arabische Welt gibt.
Sollte der neue palästinensische Premierminister Abu Mazen Erfolg haben, wenn er seine Regierung auf Kosten von Arafat bildet, wird der offizielle Friedensplan veröffentlicht werden und daraufhin die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft folgen. Al-Dschasira blendet zwar nicht aus, dass eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts das A und O darstellt, wenn es darum geht, die Meinung innerhalb der arabischen Öffentlichkeit zu ändern. Aber diese Sichtweise erscheint zurzeit mehr als nebulös: „Der Zufall hat es so gewollt, dass Palästina auch der Name des Hotels in Bagdad ist, das zum Sitz der amerikanischen Regierung im Irak wurde“, heißt es etwa auf al-Dschasira. Das Hotel hat drei große Eingangstüren, erklärt der Ansager, und vor jeder von ihnen haben sich Demonstranten versammelt. Die einen würden „Nieder mit Amerika!“ rufen, die anderen „Lang lebe Amerika!“ und die Dritten: „Stellt die Sicherheit wieder her, rettet unser nationales Erbe!“
SÉLIM NASSIB
Sélim Nassib begleitet in seiner Kolumne die Berichterstattung des arabischen TV-Senders al-Dschasira