: Die Ordnung der Dinge
„Heidegger und der Rechner“ heißt die vierte Veranstaltung der PhilosophInnengruppe „Aussen“ auf Kampnagel. Diesmal ist das Publikum höchstselbst aufgefordert, mit Sprache Welt zu bilden
von KATRIN JÄGER
Um Martin Heideggers Mammutwerk Sein und Zeit kommt kein Philsophiestudent herum. Aufschlagen und daran zugunde gehen, sagen die einen. Drei Monate damit in Klausur, und die Welt verwandelt sich in eine heideggersche „Lichtung“, behaupten die anderen. Klar ist: In Sein und Zeit schafft Heidegger eine eigene Sprache, die eingefahrene Begriffe zu durchbrechen sucht. Die Auffassung von der Sprache als Instrument, mit dem wir die Welt beschreiben, sei falsch, sagt der Existenzialphilosoph. Vielmehr bilde Sprache Welt. Die Ordnung der Dinge hänge davon ab, wie man sie sprachlich deute und zueinander in Beziehung setze. Der Mensch schaffe Welt also erst, indem er sie benenne.
Diese These versuchen die Philosophie-PerformerInnen der Gruppe „Aussen“ auf Kampnagel diesmal mit Hilfe des Computers plausibel zu machen. „Denn der Quelltext eines Computers ist ein gutes Beispiel dafür, dass Sprache Welt bildet“, erklärt „Aussen“-Teamer Bernhard Schleiser. Beim Rechner funktioniert das so: Der Programmierer schreibt den Quelltext auf Papier und gibt ihn anschließend in den Computer ein. Der wandelt die Codes in digitale Daten um, die ihrerseits wieder über die Befehlstasten das Bild auf dem Monitor erzeugen. „Das ist dann die Welt, die der Quelltext bildet, egal, wie die aussieht.“ „Das Entscheidende ist, dass der Rechner ohne Quelltext gar nicht funktionieren kann“, betont Schleiser.
Also ohne Quelltext keine Mattscheibenwelt. Mit der Sprache und der komplexen Welt, in der wir leben, verhält es sich freilich komplizierter: Die Welt geht nicht unter, wenn ein Sprecher, also ein Mensch, stirbt. Aber: Seine Welt geht mit ihm unter. Ebenso verhält es sich mit alten Kulturen. Gehen sie ein, verschwinden mit ihnen ihre Welt, ihre Deutungen, ihre Lebensgewohnheiten und Rituale. Bevor beispielsweise das naturwissenschaftliche Weltbild zur europäischen Konsensrealität wurde, waren die Bäume, Flüsse und Berge beseelt, heute noch nachzulesen in alten Mythen.
Erst die Sprache der Biologie macht einen Fluss beispielsweise zu einer bewegten Zusammensetzung aus H2O-Molekülen, deren Bewegung wiederum in physikalischen Formeln ausdrückbar ist. „Die Menschen selbst beschreiben sich mittlerweile mit technischen Begriffen“, so „Aussen“-Philosoph Eike Bohlken: „Den Termin habe ich abgespeichert, du hast wohl eine Schraube locker. Und interessanterweise kriegt der Computer umgekehrt oftmals eine Seele, wenn man ihm gut zuredet oder wütend über ihn ist, weil er dauernd abstürzt.“
Wie gewohnt verläuft auch dieses philosophische Experiment in vier Phasen. Schleiser lässt zunächst Heidegger selbst zu Wort kommen, in Form einer per Computer produzierten Klangcollage. Anschließend serviert Familie „Aussen“ „Schnapsideen zum Entfalten“, schmunzelt Schleiser. Mit anderen Worten, es wird ein Gläschen Schwarzwälder Kirschwasser mit einem Textauszug aus Heideggers Sein und Zeit geben. Diese Kombination soll die Zuschauer dazu anregen, selbst Ideen zu produzieren und mit den Tischnachbarn ins Gespräch zu kommen. Heidegger hats auch so gemacht, in seiner Hütte auf dem Todtnauberg, auf Wanderungen durch die Hochschwarzwaldidylle.
Nach einem Kurzvortrag von Schleiser darf dann wieder kräftig diskutiert werden. Über Heideggers These, aber auch darüber, „wie Sprache uns beeinflusst, bewusst und subtil, durch Werbung oder politische Rede“. Darüber möchte Schleiser sprechen. Nahe liegt auch die Frage, wie weit der Ausspruch des US-Präsidenten George W. Bush von der „Achse des Bösen“ im wahrsten Sinne des Wortes den zweiten Irak-Krieg heraufbeschworen hat. Ganz im Sinne Heideggers geht es an diesem Abend darum, sich für die Macht der Sprache zu sensibilisieren. Aber auch die kritische Betrachtung des Sprachkritikers selbst wird nicht zu kurz kommen: In einigen seiner Reden als Rektor der Freiburger Universität benutzte Heidegger das Blut-und Boden Vokabular der NSDAP-Propaganda immerhin zur faschistischen Weltbildung in Nazideutschland.
Do, 17.4., 20 Uhr, Kampnagel