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Archiv-Artikel

Superlativ in der Museumskrise

Jetzt kommt das Museum of Modern Art (MoMA) – und dann erst mal lange nichts. Was für den Museumsbesucher in Berlin ganz toll aussieht, bröckelt in Wahrheit. Außer Spektakel haben die staatlichen Museumsmacher wenig zu bieten. Es mangelt an einem Konzept – in den und außerhalb der Museen

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es macht sich einfach gut, es ist Pop: „Das MoMA ist der Star!“, knallt es in Pink derzeit auf hunderten von Plakaten und Anzeigen ins Berliner Kleinhirn. „Das MoMA in Berlin“ gesellt einen Event zu einem zweiten. „Das MoMA und 200 Meisterwerke in der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe“ betont schon fast einen Mythos: New York und Berlin, die bildende Kunst und andere Highlights des zwanzigsten Jahrhunderts spiegeln sich im spezifisch hauptstädtischen Museumsglück. Und um die Liste der Superlative noch länger zu machen, als sie bereits ist: 700.000 bis 1 Million Besucher werden zur Berliner Documenta der klassischen Moderne erwartet. Was ein Hammer, das Museum of Modern Art.

Was die New Yorker Sammlung moderner Kunst bietet, ist sicher ein ästhetisches Ereignis: Es reicht von van Gogh über Picasso bis zu den russischen Konstruktivisten, vom Bauhaus Dessau und der Nachkriegsmoderne bis zu Richters „RAF-Zyklus“. Außerdem stellt das MoMA dem Berliner Publikum die neuen Generationen amerikanischer Kunst vor – vom abstrakten Expressionismus bis zur Pop-Avantgarde wie Rauschenberg, Rothko, Warhol und Lichtenstein.

Es wird die museale Landschaft am Kulturforum in gleißendes Licht rücken, zumal der Bau der Nationalgalerie den architektonischen und symbolischen Rahmen dafür hergibt. Von einem „leuchtenden Überblick über die moderne Kunst“, von „beispielloser Repräsentation“ tönt darum Peter Klaus Schuster, Direktor der Staatlichen Berliner Museen – als sei der Name MoMA schon Programm genug für Superkunst und Spektakel zusammen.

Dabei kommt das MoMA als Lückenfüller nur recht. Denn dass sich in dem Subtext der marktschreierischen MoMA-Ankündigung Schusters zugleich ein gerütteltes Maß aktueller Konzeptionslosigkeit in der Berliner Ausstellungs- und Museumsarbeit auftut, ist in der Hauptstadt nicht zu verschleiern. Vielmehr offenbart das New Yorker Schnäppchen diese noch.

Weil das Haus am New Yorker Central Park derzeit umgebaut und erweitert wird, durften die 200 Spitzenwerke auf Reisen gehen. Und das nicht umsonst. Mehrere Millionen Euro Leihgebühr kostet die Auswahl. Nicht Berlin, sondern MoMA-Direktor Glenn Lowry hat die 200 Werke aus der über 3.000 Exponate umfassenden New Yorker Sammlung ausgesucht, samt Katalogkonzept und Autorenbeiträgen. Schließlich organisiert der Verein „Freunde der Nationalgalerie“ die Schau, nicht Berlin.

Neu ist das Verfahren für Peter Klaus Schuster nicht. Er pflegt es. In die städtischen Museen holt er leicht verpackbares Kunstmaterial, schmückt Ausstellungen mit großen Namen, sichert repräsentive Sammlungen, statt sich auf die Suche nach Neuem zu machen. Ganze Kunstepochen klont er zu einem scheinbaren Konzept zusammen.

So hat Schuster die umstrittene „Flick Collection“, eine private Megasammlung moderner Kunst des späten 20. Jahrhunderts, ab 2004 für den Hamburger Bahnhof, Museum der Gegenwart, beim Flick-Erben Christian „Mick“ Flick reserviert. Im Hamburger Bahnhof wird dann neben der Sammlung Marx ein konkurrierender Mäzen zu sehen sein.

Auch das Fotowerk von Helmut Newton erhält einen Schauraum. Neben dem Bahnhof Zoo wird das Newton-Museum mit über 1.000 Abzügen aufgebaut. Und jetzt kommt das MoMA mit der Superkunst. Schlecht ist das auf den ersten Blick nicht, es steigert den kulturpolitischen Ruhm und Kunstgenuss der Metropole. Doch der Rückzug konzeptioneller Arbeit zugunsten schierer Masse birgt Gefahren: Gepflegt wird immer mehr ein Hang zum Spektakel und weniger eine neue Handschrift und Ankaufspolitik der Berliner Museums- und Ausstellungsmacher – die genau dafür noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert berühmt waren.

Begründet wird diese Haltung mit einem schlagenden Argument: Je weniger Ankaufsmittel zur Verfügung stehen, umso mehr wird die Stadt auf Leihgaben oder private Mäzene angewiesen sein, zumal wenn deren Exponate von epochaler Dichte und hohem Rang sind. Dass damit die Rolle des Museums selbst als Ort innovativer Arbeit zurückgenommen wird, wird geflissentlich übergangen – weil überstrahlt von Kunstschauen wie der des MoMA.

Dennoch sollten sich die Museumsdirektoren nicht auf den scheinbaren Erfolg verlassen. In den Jahren 2002 und 2003 brachen die Zahlen der Museumsbesucher an einigen Häusern dramatisch ein. Das Interesse an den Berliner Museen ist zwar nach wie vor groß, doch verzeichnen einige einen zum Teil erheblichen Besucherrückgang, wie aus einer Umfrage des Instituts für Museumskunde hervorgeht. Demnach stabilisierte sich die Zahl der Museumsbesucher mit rund 8,80 Millionen auf hohem Niveau. In die Neue Nationalgalerie kamen statt 350.000 (2002) im vergangenen Jahr aber nur noch rund 150.000 Besucher. Auch die Gemäldegalerie im Kulturforum hatte 10 Prozent weniger Besucher.

Rainer Klemke, Referent in den Staatlichen Museen, findet den Besucherrückgang nicht ungewöhnlich. „Die Zahlen für die Neue Nationalgalerie liegen im langjährigen Mittel.“ Grünen-Kulturexpertin Alice Ströver sieht dagegen ein „strukturelles Problem“. Kulturforum und Dahlemer Museen würden vernachlässigt, alles konzentriere sich auf die Museumsinsel und die Alte Nationalgalerie. Nötig seien ein inhaltliches und künstlerisches Gesamtkonzept und ein besseres Marketing für das Kulturforum und seine Museen.

Außer am Kulturforum oder in Dahlem bestehen noch andere Schwierigkeiten. Erst Ende 2004 wird das Deutsche Historische Museum nach der Sanierung seinen zentralen Bau wieder öffnen. Auf der Museumsinsel – nach wie vor Renner bei Kunstliebhabern – wird noch Jahre gebaut am Bodemuseum, dem Neuen Museum und an den geplanten Erweiterungsbauten am Pergamonmuseum.

Hinzu kommt, dass im zusätzlichen Bereich der Wechselausstellungen – außer bei den genannten aktuellen „Highlights“ – wenig von Schuster unternommen wurde. „Die Kunst der DDR“ in der Neuen Nationalgalerie war 2003 ein Lichtblick – neben kleineren zum Thema Architektur von Rem Koolhaas oder dem Kunstprojekt „Flügelschlag, Engel in der Kunst“.

2004 erwarten die Besucher Ausstellungen über „Poesie des Augenblicks. Meisterwerke der französischen Genremalerei im Zeitalter von Watteau, Chardin und Fragonard“, „Berlin North, Zeitgenössische Künstler aus den nordischen Ländern in Berlin“ oder „p0es1s. Digitale Poesie. Eine aktive Reise durch interaktive Welten“. Das klingt schön, zum Teil wie eine Schau der Botschaften Islands und Norwegens. Aber zeigt sich da ein Konzept?

Schuster hat bei seiner Museums-Jahresvorschau vor ein paar Tagen auf die Schwierigkeiten bei den Neu- und Ausbauten aufmerksam gemacht. Außerdem wurden die geplanten Eröffnungen des zusätzlichen Hauses am Hamburger Bahnhof für die Flick Collection in den Vordergrund gerückt. Und dann kam MoMA, MoMA und MoMA. Über die größte notwendige Museumsbaustelle, nämlich ein spezifisches Konzept für eine Berliner Leitidee in puncto Ausstellungsagenda und das Kulturforum insgesamt hat er nichts erzählt.