: Ohne jede Illusion
Heute vor 70 Jahren stürmten SA und SS das Hamburger Gewerkschaftshaus und zerschlugen die Arbeiterorganisation.Noch heute herrscht Unverständnis über die Zögerlichkeit der ADGB-Führung, den Nazis Widerstand entgegenzusetzen
von MAGDA SCHNEIDER
Wenn die Senioren des Hamburger DGB in diesen Tagen im Rahmen ihrer Reihe „erlebte Geschichte“ die Rolle der Gewerkschaften nach der Machtergreifung Hitlers Revue passieren lassen, findet kaum einer ein gutes Wort für das Verhalten der damaligen Führungsriege des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes (ADGB): „Es hätte ein Generalstreik ausgerufen werden müssen, stattdessen haben sie kapituliert“, sagt einer. Ein anderer berichtet: „Die Kämpfer vom ‚Reichsbanner‘ haben im Gewerkschaftshaus gesessen und auf einen Befehl gewartet, loszuschlagen.“ Die von der SPD aufgestellte militärische Einheit sei sogar beim SPD-Innensenator Adolf Schönfelder im Rathaus gewesen und habe die Herausgabe von Waffen verlangt: „Doch Schönfelder hat die Waffen nicht herausgegeben.“
Die Gewerkschaftsbosse setzten nach dem 30. Januar 1933 auf „Anpassung“ an die neuen Machthaber. Wenige Wochen später bekamen sie den Fehler zu spüren: Heute vor 70 Jahren stürmten SA- und SS-Einheiten das Hamburger Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof, verhafteten die ADGB-Funktionäre, beschlagnahmten das Vermögen von Gewerkschaften undGenossenschaften und leiteten damit auch im roten Hamburg die Zerschlagung der Arbeiterorganisation ein.
In ganz Deutschland beginnt am 2. Mai 1933 für viele Gewerkschafter ein langer Leidensweg, der durch Gefängnisse und Konzentrationslager führt. Die Besetzung der „Waffenschmiede des Proletariats“ (August Bebel) schildert Adolf Kummernuss, der 1. Vorsitzende des DGB-Ortsausschusses Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg und spätere Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr: „Das Hamburger Gewerkschaftshaus wurde am 2. Mai 1933 gegen neun Uhr von SA und SS sowie Pgs in Zivil – also Parteigenossen der NSDAP – heimgesucht. Sie fuhren auf mehreren Lastwagen vor. Sämtliche Räume wurden besetzt“, erinnert sich Kummernuss. „An jedem Fenster stand ein SA-Mann mit entsicherter Pistole in der Hand. Ungefähr nach eineinhalb Stunden mussten alle Gewerkschafts-Angestellten in den großen Saal kommen. Dort sprach der Nazi-Gauobmann Rudolf Habedank. Er machte dabei in Wohlwollen. Niemand sollte entlassen werden und so weiter. Wir waren, bis auf wenige, ohne jede Illusion“, berichtet Kummennuss weiter.
„Niemand durfte das Haus ohne Passierschein verlassen. Inzwischen hatte man alle Vorstandsmitglieder des ADGB Gau Hamburg und Nordwest in Schutzhaft genommen. Ob jung oder alt, sie wurden nach NS-Manier behandelt. Einige wurden zusammengeschlagen, andere mussten mit der Zahnbürste die Treppen des Gewerkschaftshauses sauber machen.“
Das Weitere schildert er so: „Einige mussten etliche Nächte im Gewerkschaftshaus bleiben. Über Misshandlungen und Schikanen könnte man Bücher schreiben. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wurden wir alle, einschließlich unserer Kolleginnen Reinmachefrauen, entlassen, und zwar innerhalb von drei bis vier Wochen. Wir mussten zum Stempeln gehen, erhielten Arbeitslosenunterstützung, aber keine Stellenvermittlung. Kurz: Die braunen Machthaber besetzten brutal die Gewerkschaftshäuser, und derjenige, der sich weigerte, mit ihnen zu paktieren, wurde zunächst – bevor Schlimmeres erfolgte – einmal arbeitslos. So auch ich.“
Noch tags zuvor – am „Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse“ – hatten sich die ADGB-Gewerkschaften, um der NSDAP ihre Unterwürfigkeit zu demonstrieren, den 1. Mai 1933 zum „Tag der Arbeit“ umgedeutet. Dabei hatte Hitlers Propaganda-Chef Joseph Goebbels schon am 17. April in sein Tagebuch geschrieben, dass am 2. Mai nach dem Verbot der Gewerkschaften Deutschland in der Hand der NSDAP sein werde.
Für die Hamburger Historikerin von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Ursula Büttner, ist die damalige Haltung der ADGB-Führung aber nicht nur als dumpfer Opportunismus zu sehen. „Die Gewerkschaften befanden sich – auch in Hamburg – in einer schwierigen Situation und wollten die Gewerkschaftskassen retten. Sie waren einfach überfordert.“
So habe der ADGB wegen seiner Verflochtenheit mit der Sozialdemokratie in den 20er Jahren mächtig an Macht und Mitgliedern verloren. Der Sozialabbau der – von der SPD lange Zeit tolerierten – konservativen Regierungen Brüning und von Papen sorgte für Massenarbeitslosigkeit. Auch Gewerkschaftsmitglieder setzten daher auf die Parolen der NSDAP nach Arbeit und Beschäftigung.
Die KPD unter Ernst „Teddy“ Thälmann ihrerseits heizten den „Arbeiterverrätern der SPD“ ein und bezeichneten sie als „Sozialfaschisten“ und machten gegen den ADGB mit ihrer „Revolutionären Gewerkschaftsopposition“ (RGO) und wilden Streiks offen Front.
„In Hamburg war 1933 mit 170.000 Arbeitslosen fast jedes zweite Gewerkschaftsmitglied ohne Arbeit“, sagt Büttner. „Da hielt man Streiks von der Führung für nicht mehr durchführbar.“ Dass das ein kapitaler Fehler war, habe die Geschichte gezeigt: „Die Gewerkschaftsführung konnte sich nicht durchringen, den Bürgerkrieg zu führen“, so Büttner, „Widerstand ist nicht die Geschichte der Organisation Gewerkschaft!“
Als sich dann endlich ADGB und SPD zur Aktionseinheit „Eiserne Front“ zusammenschließen und bereit sind, den „Reichsbanner“ zu mobilisieren und eine Aktionseinheit mit dem Rotfront-Kämpferbund der KPD gegen Stahlhelm-Kommandos, SS und SA der NSDAP einzugehen – da war es schon zu spät.