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Archiv-Artikel

Späte Aufarbeitung des G-8-Gipfels von Genua

Seit gestern sind 30 Polizeibeamte wegen Körperverletzung und Vortäuschung von Straftaten angeklagt. In der kommenden Woche müssen sich 26 Demonstranten wegen der Ausschreitungen beim Sozialforum verantworten

ROM taz ■ Gestern die Anklageerhebung gegen 30 Polizisten und am kommenden Dienstag die Prozesseröffnung gegen 26 Demonstranten: Die juristische Aufarbeitung des G-8-Gipfels vom Juli 2001 in Genua tritt an den beiden entgegengesetzten Fronten in ein entscheidendes Stadium.

Die Polizisten – durch die Bank Beamte der Kommandoebene – sind wegen des Sturms auf die Schule Scuola Diaz angeklagt. In der Nacht des 21. Juli waren damals starke Polizeieinheiten in das Gebäude eingedrungen, das den Gipfelgegnern als Schlafstätte zur Verfügung gestellt worden war. Bei dem äußerst brutalen Prügeleinsatz waren fast alle der 93 Verhafteten verletzt worden, fünf von ihnen hatten schwere Verletzungen davongetragen. Viele der Festgenommenen berichteten später zudem über Misshandlungen in Polizeigewahrsam. Damit nicht genug: Die 93 wurden angezeigt, weil sie angeblich eine kriminelle Vereinigung gebildet hätten mit dem Ziel, Genua zu verwüsten. Als „Beweis“ dienten nicht zuletzt zwei „in der Schule gefundene“ Molotowcocktails.

Die politische Stoßrichtung des Einsatzes lag von Beginn an auf der Hand. Während einige hundert Leute vom schwarzen Block in Genua eine Spur der Zerstörung hinterließen, hatte die Polizei drei Tage lang Menschenhatz betrieben und wahllos Demonstranten zusammengeschlagen; anschließend wollte sie mit dem nächtlichen Einsatz zwecks Legitimierung der Prügelorgien den „Nachweis“ führen, dass die Zentrale der Black-Blocker beim Genoa Social Forum lag, das die Gipfelproteste koordiniert hatte. Doch die Einsatzprotokolle vom nächtlichen Sturm hielten der staatsanwaltlichen Überprüfung nicht stand. Die Vorwürfe gegen die 93 damals Sistierten wurden komplett fallen gelassen. Stattdessen stehen nun die Polizisten im Verdacht, eine Fülle von Straftaten begangen zu haben. Die Vorwürfe reichen von schwerer Körperverletzung bis zu übler Nachrede, falscher Anschuldigung und Vortäuschung einer Straftat. Filmdokumente belegen, dass die Polizei selbst die Mollis mitgebracht hatte, die dann gefunden wurden. Der Karriere der betroffenen Beamten hat das aber bisher keinen Abbruch getan. Die Polizisten, die teils der engsten nationalen Polizeiführung angehören, sind alle im Dienst; die meisten konnten seit 2001 Beförderungen verbuchen.

Am Dienstag dagegen wird in Genua der Prozess gegen 26 Demonstranten beginnen. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft vor, an den Ausschreitungen während des G-8-Gipfels beteiligt gewesen zu sein. Die Anklage wegen schweren Landfriedensbruchs und Plünderung kann ihnen 8 bis 15 Jahre Haft eintragen. Zahlreiche der Angeklagten gehörten keineswegs zum Schwarzen Block, sondern waren an den schweren Zusammenstößen beteiligt, die sich nach der Zerschlagung des Demonstrationszugs der „Ungehorsamen“ entwickelten und in dem Todesschuss eines Polizisten auf den Demonstranten Carlo Giuliani kulminierten. Die Staatsanwaltschaft ist deshalb heftiger Kritik aus den Reihen der Globalisierungsgegner ausgesetzt: Ihre Anklage isoliere einzelne Gewalttaten von Demonstranten aus dem damaligen Kontext. Schließlich sei es die Polizei gewesen, die damals ohne Grund und ohne jede Ankündigung eine genehmigte Demonstration attackiert, eingekesselt und mit CS-Gas eingenebelt habe. Erst daraufhin seien die Demonstranten zur Gegenwehr geschritten.

MICHAEL BRAUN