: Im Unerbittlichkeitsstil
Endlich offiziell, aber noch mit Klärungsbedarf: Martin Walser verlässt den Suhrkamp-Verlag und wechselt zu Rowohlt
Am vergangenen Freitag um 17.36 Uhr war es endlich so weit. Die Nachrichtenagenturen verbreiteten die Meldung des Rowohlt-Verlages, dass Martin Walser den Suhrkamp-Verlag in Richtung Reinbek verlassen werde. Walsers neuer Roman „Der Augenblick der Liebe“ soll im Sommer bei Rowohlt erscheinen, und auch für das nächste Jahr ist schon ein neuer Walser-Titel geplant, die Essaysammlung „Die Verwaltung des Nichts“.
Was aber mit Walsers großem, 136 Titel zählendem und nahezu vollständig bei Suhrkamp vorliegendem Werk passiert, ist noch nicht abschließend geklärt. Darüber streiten die Juristen. Martin Walser jedenfalls scheint entschlossen, den Suhrkamp-Verlag sozusagen mit Sack und Pack zu verlassen und begründet das in einem pathetisch-offenen Brief (siehe Seite 11) vor allem mit dem Verhalten des Verlages nach dem Skandal um seine Medien- und Kritikersatire „Tod eines Kritikers“. Mehrmals sei er ins „Blitzlicht einer Zeitgeistfraktion geraten, die sich auf die Aufklärung beruft und nach Autorität trachtet“. Und nach „Tod eines Kritikers“ wurde „von außen, unter Verletzung geltender Regeln, ein Skandal angezettelt, und ich wurde Zeuge, wie die Verlagsleitung unter dieser Autorität in die Knie ging. Siegfried Unseld wäre nicht in die Knie gegangen.“
Allerdings stellt sich die Übernahme seines Gesamtwerks durch Rowohlt als nicht so einfach dar. So hat Walser zwar mit dem 2002 verstorbenen Siegfried Unseld 1997 einen Vertrag aufgesetzt, der vorsieht, dass Walser die Rechte an seinem Gesamtwerk zurückfordern kann, sollte Unseld den Suhrkamp-Verlag einmal nicht mehr leiten, inklusive einer Kündigungsfrist und einer Übergangszeit von fünf Jahren. Doch scheint dieser Vertrag genügend Fallstricke und Kleingedrucktes zu beinhalten, als dass er so leicht wirksam werden könnte. So räumte Rowohlt-Chef Alexander Fest der Welt gegenüber ein: „Bei den in dieser Hinsicht zu schließenden Verträgen kommt es auf die Kulanz des Suhrkamp-Verlages an“.
Nun mag Martin Walser „ein großer Taktiker“ sein, wie es bei Suhrkamp heißt, und sicher hat er wohl mit einigen anderen Verlagen verhandelt, bevor er Alexander Fest den Zuschlag gab; und so dürfte der besagte Vertrag mit Unseld der Grund dafür sein, dass sich der schon nach den Suhrkamp-Machtquerelen im vergangenen Jahr sich abzeichnende Weggang von Walser so lange hinzog.
Trotzdem war es erstaunlich, dass es neben der Causa Kunkel zuletzt keinen größeren Aufreger im Literatur- und Kritikerbetrieb gab, kein Buch, keine Debatte, kein nichts, als die Frage nach Walsers neuem Verlag. So wechselten sich Gerüchte mit Falschmeldungen und Dementis. So raunte die FAZ, dass über Rowohlt und Walser noch viel zu reden sein werde. Sie zog damit eine Linie von Rowohlt-Verleger Alexander Fest, dem Sohn des Hitler-Biografen Joachim Fest, zum Skandal um den Nazi-Porno-Roman von Thor Kunkel bis zu eben jenem Walser, den sie wegen „Tod eines Kritikers“ mit großer Geste des Antisemitismus verdächtigt hatte: Deutschland, Deutschland über alles, kritisiert und in Frage gestellt von der Zeitung für Deutschland, die gern mal staatstragend einen „deutschen Arbeitsplatz“ vorstellt. Und da betrieb letzte Woche noch die FR ganz ernsthaft Ursachenforschung und spekulierte, dass es sein Suhrkamp-Antipode Jürgen Habermas sei, der Walser das Weite suchen ließ.
Martin Walser umgibt inzwischen eine Aura aus intellektuellem und emotionalem Glamour in Verbindung mit einer potenziellen Skandalträchtigkeit, die sein Werk fast verdeckt, seinen „Unerbittlichkeitsstil“, wie er ihn sich einmal attestierte, seine „in uns hineinsinkenden und nicht aufhörenden“ Bücher. Noch mehr als diese sichert ihm sein Nachdenken über Deutschland den Status eines Großschriftstellers, wobei er nicht erst seiner Paulskirchenrede und dem „Tod eines Kritikers“ verdächtigt wird, in schmuddeligen rechten Ecken herumzustehen: Schon Ende der Siebzigerjahre entwickelte Walser „ein Bedürfnis nach geschichtlicher Überwindung des Zustands Bundesrepublik“.
Mit anderen Worten: Walser ist selbst ein Zeitgeist- und Pop-Phänomen; kein doofer Promi, sondern ein echter Star noch, einer der ganz wenigen des Literaturbetriebs sowieso, aber auch sonst ein Schriftsteller, für den sich gar das People-Magazin Bunte interessiert. So einer strahlt eben zurück bis ins Feuilleton, das mit der regelmäßigen Wohin-geht-Walser-denn-nun?-Berichterstattung genau das Bedürfnis nach Personality und Einschaltquoten bediente, das es an anderer Stelle gern kritisiert oder als tantenhaftes Geschnatter abtut. Hauptsache First Things First.
Richtig rund wird die Geschichte natürlich erst in der Tragik, die über dem Walser-Wechsel liegt: Der Suhrkamp-Verlag verliert in ihm eines seiner großen Zugpferde, einen Bestsellerautor. Eine der ökonomischen Säulen von Suhrkamp ist die Klassikerpflege, und Walser hat mit seinem Werk einen festen Platz in der Literaturgeschichte der Nachkriegszeit. Wenn so einer dann noch regelmäßig neue Bücher schreibt, ist der Verlust ein doppelt schmerzhafter. Zumal ein so totaler Wechsel, wie Walser ihn offenbar anstrebt, das Ende der Unseld-Ära endgültig besiegeln dürfte.
Doch auch für Walser ist die Angelegenheit eine genauso anstrengende wie schmerzhafte: Nach fast fünfzigjähriger Zugehörigkeit einen Verlag aufzugeben, der ihm zum 70. Geburtstag schon eine Gesamtausgabe gewidmet hat, der sich auf Werkpflege versteht und der nicht zuletzt jahrzehntelang geistige Heimat war? Aus Walsers Sicht nur konsequent und seinem Unerbittlichkeitsstil angemessen. Doch selbst die jetzt allseits bemühten Verbindungen zu Rowohlt mit dem von Walser herausgegebenen Anti-Strauß-Buch „Die Alternative“ von 1961 oder der Taschenbuchausgabe von „Ehen in Philipsburg“ ändern nichts daran: Ein alter Baum lässt sich nicht so leicht verpflanzen. Wenn überhaupt. Allein die fünf Jahre Übergangsfrist sind für einen 77-Jährigen nicht unbedingt eine überschaubare Zeit, und so eine riesige Werkrekonstruktion gibt es auch bei Rowohlt nicht von heute auf morgen .
„Wer ein Klassiker wird“, hat Walser einmal gesagt, „das entscheidet der Gebrauch von dem, was ein Autor schreibt. Das bestimmen ganz allein die Leser.“ Zumindest denen wird es herzlich egal sein, ob sie demnächst ein Walser-Buch aus dem Suhrkamp- oder dem Rowohlt-Verlag lesen. GERRIT BARTELS