: Der Zauberwürfel
Holländische Botschaft eröffnet: Rem Koolhaas, in Berlin lange verteufelter Architekt, hat sich ein Denkmal errichtet – und ein verwirrend schönes dazu
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Die Aussicht gleicht einem Foto aus Amsterdam. Man blickt durch die große Glasfront des Gebäudes hinaus auf das Wasser. Im Fluss spiegeln sich backsteinrote Häuser. Der Blick fällt auf Schleusen und eine Gracht aus dem 17. Jahrhundert. Kreuzten nicht plötzlich ein paar Berliner Plattenhochhäuser die Sicht, fühlte sich der Betrachter in den Niederlanden.
Es war der Wunsch des niederländischen Außenamtes, seine neue Botschaft in Berlin an der Spree und ihren flussnahen baulichen Accessoires zu errichten. Zurück in das Diplomatenviertel im Tiergarten wollten die Holländer nicht, sie verkauften ihr Grundstück in der Rauchstraße. Auch die obere Etage des Internationalen Handelszentrums in der Friedrichstraße, in denen der Botschafter ab 1999 residierte, bildete nur ein Provisorium. Hatten sich doch die Planer aus Den Haag Ende der 90er-Jahre für ein Grundstück entschieden, das einer heimatlich-holländischen Insel in der Fremde glich: am Rolandufer an der Spree, gegenüber dem Märkischen Museum sowie der Mühlendamm-Schleuse, nicht zuletzt in Blickweite der einzigen noch originalgetreuen Berliner Gracht, die im 17. Jahrhundert von niederländischen Ingenieuren angelegt wurde.
Damit hat es sich allerdings mit der Folklore. Als gestern die niederländische Königin Beatrix im Beisein von Bundespräsident Johannes Rau und Außenminister Joschka Fischer durch die 2000 bis 2004 erbaute Mission flanierten, umgab sie ein Raum provokativer Moderne, der nichts von Amsterdamer Heimeligkeit besitzt.
Wie auch. Der siebengeschossige Glaswürfel stammt aus der Feder von Rem Koolhaas. Ein Architekt, der widerspenstige bauliche Chiffren entwirft, die für sich selbst stehen. Die autistisch ihren eigenwilligen Charakter betonen und sich zugleich voller Eleganz und Moderne präsentieren.
Nichts anderes ist die neue niederländische Botschaft. Am Rolandufer erhebt sich ein gläserner und mit Aluminium verkleideter solitärer Block. Zur Spreeseite hin bestimmen große Fensterfronten das Gebäude. Aus der glatten Wand brechen horizontale und diagonale Geschosszonen heraus.
Von der anderen Seite, dem Zugang an der Stralauer Straße, verdoppelt sich diese Ansicht. Über eine Rampe geht es hinauf zum Eingang. Darüber erhebt sich die Architektur, die einer Raumskulptur gleichkommt. Statt ordentlich übereinander gestapelter Geschosse verweigert Koolhaas auch hier die Struktur von Etagen.
Über dem aufgeständerten Sockel sitzt ein langer steinerner Empfangscontainer, darüber ragt ein Geschoss aus. Wieder etwas höher schießen Brücken und Stege aus dem Haus in die benachbarten Botschafterwohnungen in den spitz geformten Seitenflügeln. Dann setzt sich eine Treppenlinie an der Außenwand ab, die bis hinauf zum Dach reicht.
Koolhaas hat die Fassade so unruhig geplant, weil sie die inneren 8.500 Quadratmeter des großen Aufbaus spiegelt. Vom Erdgeschoss bis zum Dach durchzieht ein „Trajekt, ein sanft ansteigender mäandernder Weg als Ebenen, Geschosse unterschiedlicher Raumhöhen und Einteilungen“ die Botschaft, wie die Autoren in dem zur Eröffnung erschienen Architekturführer schreiben. Entlang dieser Wegführung hat der Architekt die Foyers, Besprechungsräume, Empfangssäle, die Bibliothek, die Fitnessräume und das Restaurant unter dem Dach konzipiert, sodass sich in dem baulichen Zauberwürfel das Raumprogramm unterschiedlich nach oben entwickelt. Einer Etage folgt beispielsweise eine halbe, in dieser zeichnet sich die folgende nach, et cetera.
Die königliche Botschaft hat Rem Koolhaas mit Materialien wie Glas, Beton und Aluminium gestaltet. Im Innern mutet der Bau edel an, am Boden und in Wandvertäfelungen dominiert Holz, Kunstwerke schmücken die Räume.
Im Empfang zieren Andy Warhols Siebdrucke mit den Porträts der Königin Beatrix die Wand. Das große Besprechungszimmer ist mit den Fotos „Brigitte“ von Désirée Dolron ausgestattet, und im Fitnessraum hängt Hans van der Meers „Holländische Velden“, die zwölf Porträts der Oranje-Fußballmannschaft von 1999.
Dass die Architektur der niederländischen Botschaft in Berlin mit besonderer Aufmerksamkeit begutachtet würde, ist nicht nur Eingeweihten klar gewesen. Steht doch Rem Koolhaas und die Handschrift seines Rotterdamer Büros OMA (Office for Metropolitan Architecture) für Außergewöhnliches. Pikant war zugleich, dass der Architekt und die Berliner Baubehörden sich lange Zeit im Clinch befanden – Koolhaas und Berlin, das war in etwa so wie Feuer und Wasser.
1991 war der Niederländer Jurymitglied für den Wettbewerb Potsdamer Platz und hatte sich mit seiner extravaganten Ansicht zum Städtebau gegen das Berliner Programm der Rekonstruktion und gegen Senatsbaudirektor Hans Stimmann positioniert. Es kam zum Eklat. Koolhaas, der provokante Verfechter der modernen Architektur, verließ die Jury und schenkte ein: Die Planungen für die Berliner Mitte seien „kleinbürgerlich, altmodisch, reaktionär, unrealistisch banal und dilettantisch“.
Seither galt Koolhaas als Persona non grata in der Hauptstadt. Sogar wirklich mittelmäßige Architekten wie der örtliche Baumeister Jürgen Sawade (Schöneberger „Sozialpalast“) durften ungestraft „Stadtverbot“ für Rem Koolhaas fordern.
Mittlerweile sind die Wogen wieder geglättet, Koolhaas erhielt für die Planungen zur Botschaft den Berliner Architekturpreis. Aber wirklich nett finden die Berliner den kantigen Holländer nicht.
Das könnte sich jetzt ein wenig ändern, sind doch die hiesigen Bauverantwortlichen durch bestehende Gebäude der letzten Jahre sensibilisiert worden. Nicht zuletzt das Jüdische Museum – der Libeskindbau – und seine zackige Gestalt und Form haben wesentlich dazu beigetragen, auch andere Architektursprachen zu respektieren als eigene, die der preußischen Berliner Blockrandbebauung.
Vielleicht hat Koolhaas auch ein wenig auf Libeskind geschielt, erinnern doch Aluminiumfassade und die dekonstruierte innere Figur und die wirre Linie des Trajekts im Botschafterbau an den Museums-Architekten aus New York. Und wem das als Versöhnung nicht reicht, dem bleiben noch immer die folkloristischen Verbindungen von Botschaft, Holland, Wasser, Gracht und Schleuse mitten in Berlin.
Nach der feudalen Eröffnung gestern plant die Botschaft einen Tag der offenen Tür. Gleichzeitig zur Eröffnung hat der Stadtwandel-Verlag einen schönen kleinen Architekturführer zum Gebäude herausgebracht. Es ist der 50. in der Reihe über Berliner Architekturthemen.