: „Ich glaub schon, dass ich Öko bin“
Christian Maaß ist 36 und neuer Umweltstaatsrat in Hamburg. Das wollte er als Umweltpolitiker immer werden. Nun muss er vom Fahrrad aufs Auto umsteigen – und Kohlekraftwerke genehmigen. Deprimierend?
Geboren: 10. Juli 1972 in Hamburg. Wuchs in Altona auf. Lebt in Altona. Grünen-Politiker und Jurist. Studierte in Hamburg und Genf. Verheiratet. Eine Tochter. Ist: Seit dem 8. Mai 2008 Staatsrat in der Umweltbehörde des Stadtstaats Hamburg. Also Verwaltungschef und Vertreter von Anja Hajduk (Die Grünen), der Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt. Der Staatsrat entspricht dem Staatssekretär in einem Flächenbundesland. Zuvor war Maaß seit 2001 Abgeordneter der GAL in der Hamburger Bürgerschaft, zuletzt stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Umwelt und Verbraucherschutz. Er war 1994 in die GAL eingetreten. Wahl in Hamburg: Die Grünen hatten bei der Wahl im Februar 2008 9,6 Prozent erreicht (minus 2,7 Prozent) und waren daraufhin mit der zuvor mit absoluter Mehrheit regierenden CDU Ole von Beusts (42,6 Prozent, minus 4,6 Prozent) eine viel diskutierte Koalition eingegangen. Es ist die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene und insofern historisch zu nennen. Zum taz-Gespräch traf sich Maaß mit den taz-Redakteuren Sven-Michael Veit und Peter Unfried im Amtszimmer seiner Behörde in Hamburg. Es handelt sich um einen großen, sehr funktionalen Raum, der noch innenarchitektonische Möglichkeiten lässt.
Interview Sven-Michael Veit und Peter Unfried
taz: Herr Maaß, Sie waren Teilzeitparlamentarier und Anwalt. Wie hat sich Ihr Leben durch den Wechsel in das Amt des Hamburger Umweltstaatsrats beschleunigt?
Christian Maaß: Die Tage sind deutlich weniger selbstbestimmt als vorher. Meine Tochter ist jetzt drei, und ich habe vorher gezielt versucht, Zeit zu haben für meine Familie. Als Vorgesetzter von 1.400 Angestellten einer Behörde beginnen die Tage früher, enden später, und man macht Dinge, die man sonst nie gemacht hätte.
Was denn?
Man fliegt an einem Abend nach Brüssel und morgens zurück. So etwas hat vorher nicht zu meinem Lebensstil gehört.
Warum nicht?
Ich halte privat nichts von Kurztrips. Ich brauche immer Zeit, um irgendwo anzukommen. Wenn dann die Seele endlich nachgereist ist, und ich muss schon wieder zurückfahren: Das entspricht nicht meinem bisherigen Leben, und ich versuche es natürlich auch aus ökologischen Gründen zu vermeiden. Ich sehe meine Hauptaufgabe jetzt auch nicht darin, möglichst viel rumzukommen. Ich will meinen Job hier in Hamburg machen.
Ihre Frau ist Lehrerin. Wie hat sich Ihre Lebensbeschleunigung auf Ihr Familienarbeitsmodell ausgewirkt?
Wir sind sehr viel traditioneller geworden, meine Frau erträgt das mit Fassung. In wenigen Tagen wird unser zweites Kind geboren, insoweit passt das gerade. Meine Frau wird in Elternzeit gehen. Es ist eine Phase, in der ich stärker beruflich eingebunden bin. In anderen Phasen werde ich wieder mehr Familienarbeit übernehmen.
Und ein Auto haben Sie jetzt auch?
Ich habe tatsächlich nie ein Auto gehabt, sondern immer alle Dinge mit dem Fahrrad erledigt. Jetzt habe ich einen Dienstwagen, den ich auch privat nutzen darf.
Jetzt holt Sie der Fahrer ab?
Ja. Es fühlt sich immer noch seltsam an, selbst wenn man es gut findet, dass man morgens schon auf dem Weg zur Arbeit die ersten Dinge erledigen kann.
Was ist das für ein Auto?
Das war zunächst ein VW Polo BlueMotion, und jetzt ist es ein Toyota Prius.
Hat der Fahrer rebelliert?
Nein, er hat es würdevoll ertragen. Ich kam hier an in der Behörde, und da stand so ein Monstergerät mit einem unglaublichen CO2-Ausstoß, bei dem man als Öko mit den Augen rollt. Und dann wurde gesagt: Das ist Ihr Auto.
Und dann?
Da stand noch so ein kleiner VW Polo BlueMotion als Ersatzwagen. Darauf sagte ich: Na, dann nehme ich den. Ich bin allerdings jetzt auch Aufsichtsratsvorsitzender …
… der Stadtreinigung und anderer öffentlicher Unternehmen …
Wenn man da zu Sitzungen vorfährt und aus dem Polo steigt, dann heißt es schon mal: Ist das wirklich Ihr Auto?
Man hat von grünen Spitzenpolitikern gehört, die sich in so einer Situation minderwertig fühlten.
Es ist eine ambivalente Situation. Ich hatte ja meine Freude daran, aus diesem Auto zu klettern. Das ist auch ein Statussymbol. Es sagt: Ich mache das beschleunigte Leben mit, weil es nicht anders geht, aber ich versuche es möglichst umweltfreundlich zu gestalten. Aber auch das muss man erst mal aushalten: anzukommen auf einem Parkplatz mit lauter schwarzen großen Limousinen und seinen Polo BlueMotion danebenzustellen. Für mich hat der Spaß überwogen.
Inzwischen fahren alle Hamburger Regierungsgrünen Prius. Das ist eine Hybridlimousine.
Genau, der Prius ist nicht ganz so klein. Da steht die Ökologie stärker im Vordergrund und weniger die Botschaft Bescheidenheit, die beim Polo BlueMotion ja auch immer mitschwingt. Ein Hybrid ist nicht das Nonplusultra, aber er ist ein Schritt weg vom Verbrennungsmotor. Wir warten darauf, dass das erste vernünftige Elektroauto auf den Markt kommt, damit wir dann auch wirklich in der Stadt mit Elektroautos fahren können und eine noch stärkere Botschaft für den Wandel in der Mobilität aussenden.
Politiker haben Vorbildfunktion? Das hält die bundesgrüne Spitzenkandidatin Renate Künast für ein „Träumchen“.
Wenn nicht die Politiker in ihrem Bereich versuchen, auch diese Pioniertechnologien anzuwenden, ist das ein schlechtes Zeichen für die normalen Konsumenten. Übrigens hat Renate Künast mit ihrem Appell zum Kauf von japanischen Hybridfahrzeugen für diese Innovation viel getan.
Sind Sie ein klassischer Öko?
Ich glaube schon, dass ich ein Öko bin. Ich mache ziemlich verrückte Dinge.
Was denn?
Ich habe auf meiner Dachterrasse eine große Regentonne, in der ich meinen Biomüll selber kompostiere. Es gibt in meinem Viertel noch kein geeignetes Angebot für Biomüll.
Sie haben eigene Würmer?
Ja, es funktioniert hervorragend. Da staunen selbst ökologisch angehauchte Besucher, wenn ich ihnen das zeige. Ich habe große Freude, zu sehen, wie meine Würmer innerhalb kürzester Zeit unseren gesamten Bioabfall verfressen und daraus schönen Kompost machen. Ich mache das aus Überzeugung. Eigentlich war es schon immer mein Ziel, Umweltpolitik zu machen.
Wollten Sie nicht Fußballer werden, wie jeder anständige Junge?
Ich wollte auch Fußballer werden, das stimmt. Ich muss zu meiner Entschuldigung sagen: Ich war sechs, als der HSV Meister wurde. Weitere Titel folgten und als Höhepunkt der Europapokal der Landesmeister. Das war eine extrem glückliche Kindheit. Mir dämmerte allerdings schon in der C-Jugend, dass mein Talent nicht zum Profifußballer ausreichen würde.
Sind Sie auch als Politiker ein Öko?
Ich habe mich im Schulsprecherteam mit Ökologie beschäftigt, habe als Ökoreferent im Asta versucht, den Unibetrieb etwas ökologischer zu gestalten und bei den Grünen als Abgeordneter meinen Schwerpunkt immer auf den Ökobereich gelegt. Ich bin kein klassischer Generalist. Ich habe ein klares Ziel, weil ich das im Moment als die wichtigste Aufgabe der Politik sehe: Unsere Wirtschaftsweise ganz grundlegend zu ändern Von daher bin ich ein Öko, klar.
Wurden Sie als Öko in den 80ern und 90ern gehänselt oder gemieden?
Im Gegenteil. In den Kreisen, in denen ich mich bewegt habe, war Ökosein hip, das war sozial akzeptiert. Die Brokdorf-Demos, die verseuchte Elbe, dann Tschernobyl, und die Grünen kamen 1982 erstmals in die Bürgerschaft. Damals war Ökoaufbruchstimmung in Hamburg.
Da kriegten die Frauen glänzende Augen, wenn Sie Ihnen mit Ökothemen kamen?
Zumindest die, für die ich mich interessiert habe, ja. Und notfalls hatte ich ja noch meine Briefmarkensammlung …
Und nun sitzen Sie an der Schaltstelle, an der Umweltpolitik gestaltet werden soll, und bauen das Kohlekraftwerk Moorburg, statt es – wie angekündigt – zu verhindern.
Wir haben alles getan, um unsere rechtliche Position durchzusetzen. Die ersten Wochen waren sicherlich extrem hart, auch persönlich, weil wir vor dem Oberverwaltungsgericht eine Entscheidung bekommen haben, die uns zwang, unsere Position aufzugeben. Das ist hart, wenn man genau weiß, dass ein Kohlekraftwerk klimapolitisch der falsche Weg ist. Wir wussten, dass nach geltendem Recht Klimaschutz in solchen Genehmigungsverfahren nicht berücksichtigt werden darf. Wir haben ja vor Gericht über das Wasserrecht argumentiert und dort vorgetragen, dass die Genehmigung wegen der Beeinträchtigungen der Schutzgebiete in der Elbe nicht erteilt werden darf – und mussten erfahren, dass das die zuständigen Richter anders sehen.
Sie hatten ihren Wählern vollmundig versprochen, dass Sie das Kohlekraftwerk verhindern. Ist es eine persönliche Niederlage für Sie?
Das ist eine politische Niederlage. Moorburg zeigt, dass es Grenzen gibt, in denen wir uns bewegen müssen. Es gibt aber auch große Möglichkeiten. Wir haben neben dieser Entscheidung, dass wir die Genehmigung erteilen müssen, gleichzeitig mit der CDU entschieden, dass wir einen kommunalen Energieversorger in Hamburg auf den Weg bringen, der eine andere Energiepolitik verfolgt.
Wenn Sie die Energienetze zurückbekommen.
Wenn wir es hinkriegen, den Wiederkauf der Netze zu finanzieren, und wir die rechtlichen Möglichkeiten haben, würden sich klimapolitische Möglichkeiten eröffnen, von denen wir bisher nur träumen. Aber bis dahin ist es ein langer, steiniger Weg mit vielen Hindernissen und vermutlich auch rechtlichen Auseinandersetzungen. Da deren Ergebnisse nicht immer vorhersehbar sind – siehe Moorburg –, sollte man sich hiervon nicht völlig abhängig machen. Der Regulierung der Hamburger Wärmenetze kommt daher eine wichtige Rolle zu – ob mit oder ohne staatliche Übernahme.
Sie haben die Energiekonzerne mal als „Staat im Staate“ bezeichnet. Sind das für Sie Partner oder Feinde?
Ich sehe das pragmatisch: Wenn ein Energieversorger klimapolitisch gute Ideen hat, was natürlich auch in Hamburg vorkommt, dann unterstütze ich das. Wo Versorger hingegen erkennbar Entscheidungen gegen den Klimaschutz treffen, sieht meine Reaktion anders aus. Deswegen verfolgen wir ja das Ziel, mit dem neu zu gründenden städtischen Unternehmen „Hamburg Energie“ im nächsten Jahr einen Akteur auf dem Energiemarkt in Hamburg zu etablieren, der sich eher am Gemeinwohl orientiert.
Was heißt „eher“?
Er hat den klaren Auftrag, eine Energieversorgung ohne Atomkraft und Kohle aufzubauen. Das neue Angebot soll eine deutlich größere Breitenwirkung haben, als sie die klassischen Ökostromer derzeit erreichen können. Wir wollen die Strom- und Wärmeproduktion in Hamburg noch stärker zusammenbringen, also den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Ein Energieversorgungsunternehmen in kommunaler Hand mit einem klaren energiepolitischen Auftrag und ohne Renditeerwartung von 20 Prozent kann andere Projekte angehen, als das ein klassischer Energieversorger machen würde.
Schwarz-Grün will also Stadtwerke, die ab Ende 2009 Strom ohne Kohle und ohne Atom anbieten. Später auch Fernwärme und Gas?
Die Vorbereitungen für die klimafreundliche Stromlieferung laufen auf Hochtouren, im nächstem Jahr gehen wir auf den Markt. Für das Fernwärme- und das Gasnetz gibt es den klaren Auftrag, ein Konzept zur möglichen Übernahme Ende 2014 zu entwickeln.
Herr Maaß, reicht zur Lösung des Klimaproblems staatliches Handeln? Oder brauchen wir eine Klimakultur in unserer Gesellschaft?
Wir brauchen beides. Ich finde es verkehrt, den Schwerpunkt zu stark auf umweltfreundlichen Konsum zu legen. Man überfordert die Leute komplett, wenn man von ihnen verlangt, in der bestehenden Welt ein ökologisch korrektes Leben zu führen. Es frustriert sie, wenn sie sehen, dass der Nachbar das nicht macht und sie sich kasteien. Auf der anderen Seite hat der Staat oder haben zumindest wir als Kommune derzeit auch nur begrenzte Möglichkeiten; auch das ist eine Lehre, die ich aus Moorburg gezogen habe.
Hoffnungslos?
Nein. Deswegen haben wir unter anderem diesen Energieversorger auf den Weg gebracht. Um andere Akteure auf dem Markt zu etablieren. Aber nur mit einer gesellschaftlichen Verankerung wird ein Thema so stark, dass auch von den etablierten Parteien keiner mehr daran vorbeikann. Erst dann kommt der Moment, in dem man eine andere Politik in Mehrheiten gießen kann. Der ökologisch bewusste Konsument wirkt unterstützend, um die staatlichen Rahmenbedingungen durchzusetzen, mit denen wir das Ziel erreichen.
Sie wollen von Ihren Grünenwählern auch nicht zu viel verlangen?
Es stimmt: Die postmoderne grüne Szene hat mit den schlechtesten ökologischen Fußabdruck. Das sich modern verstehende Bildungsbürgertum ist ja dasjenige, das die Fernreisen macht. Wenn ich einmal auf die Kanaren und zurück reise, habe ich schon meine zwei Tonnen CO2, also praktisch mein Soll, das ich als Erdenbürger in einem Jahr verbrauchen dürfte.
Wir haben keine Klimaelite in Deutschland. Wo sind Politiker, Prominente, Wirtschaftsmanager, die das glaubwürdig leben?
Jemand wie der Unternehmer Michael Otto hier in Hamburg ist schon enorm wichtig. Er hat bewiesen, dass er erfolgreich wirtschaftlich handelt und trotzdem den Mut hat, Dinge zu formulieren, die für manche sogar ökoradikal klingen. Und wenn wir nicht Leute aus Unternehmen hätten wie das Ökostromunternehmen Lichtblick, dessen Erfolg auf ökobewussten Konsumenten aufgebaut ist, dann hätten wir eben auch nicht dieses ökonomische Fundament. Das macht es einfacher, auch Politik durchzusetzen.
Haben Sie Indizien, dass Wirtschaftsbosse neuerdings Umweltstrategien in Ihr Handeln integrieren?
Absolut. Ich nehme das bei denen wahr, die in der Wirtschaft in führenden Positionen tätig sind. Es gibt auch knallharte Betonköpfe, aber es werden weniger. Es gibt welche, die sich grün anstreichen. Aber es gibt auch die, die in ihren Unternehmen bis ans Limit gehen, um möglichst nachhaltig und klimafreundlich zu wirtschaften.
Während der klassische Wohlstandsbegriff seit 1945 aus verschiedenen Gründen zur Überarbeitung ansteht, ist bei Ihnen grade konventionelles Wachstum angesagt: mehr Karriere, mehr Macht, mehr Auto – besseres Leben?
Nein, es ist anders. Ich empfinde es als persönliches Glück, an einer Stelle sitzen zu können, wo ich Umweltpolitik mitformulieren darf. Man arbeitet als Opposition zwar nicht nur für den Papierkorb, aber das richtige Gestalten ist etwas ganz anderes. Ich bin jetzt an einer Stelle angekommen, wo ich hinwollte. Aber ich weiß, dass es jeden Tag vorbei sein kann. Und mein persönliches Lebensglück hängt nicht allein von meinem Beruf ab. Deswegen würde ich nicht sagen, dass mein Leben jetzt ein besseres ist.
Ihr Wohlstand ist gesunken, weil Sie nicht mehr mit dem Rad fahren können, sondern mit dem Auto fahren. Kann man das so sagen?
Prägnant formuliert. Es nimmt mit Sicherheit Lebensqualität, wenn man sich nicht mehr ausreichend Zeit für Dinge nehmen kann, die einem auch wichtig sind. Auf der anderen Seite wird das aufgehoben durch Möglichkeiten, Umweltpolitik zu machen. Ich sagen Ihnen daher ganz klar: Im Moment ist das die richtige Entscheidung.