Wir könnten auch wieder anders

Wo so viel leer steht und riesige Brachen statt der Bebauung nur der Verwilderung harren wie in Berlin, muss was geschehen, meint das „Stadtforum von Unten“. Und es hatte Vorschläge: temporäre Gärten, Kunstprojekte, Gewerbe – und Besetzung

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

An Beispielen, leerstehende Gebäude oder brachliegende Stadtflächen in außergewöhnlicher Weise zu nutzen, mangelt es nicht in Berlin: Das Areal des einstigen Stadions der Weltjugend an der Chausseestraße wurde zum „Volxgolf-Platz“, weil der Investor die Flächen nicht bebauen wollte. Auf dem Gelände des früheren Reichsbahn-Ausbesserungswerks im Ostteil Berlins hat sich bis dato der „RAW-Tempel“ eingerichtet mit kulturellen und sozialen Nutzungen für den umliegen Kiez und seine Bewohner. Und im ausgehöhlten Palast der Republik planen Architekten und Künstler eine Zwischennutzung für Ausstellungen, Meetings und Theateraufführungen.

Dass Lösungen für Zwischennutzungen augenscheinlich sind, ist evident. Weniger offensichtlich ist, dass Berlin und private Bauherren eine Vielzahl brachliegender Räume der zukünftigen Stadtentwicklung vorenthalten – könnten doch diese „bespielt“ werden. „Was passiert, wenn nichts passiert?“, fragte deshalb das Stadtforum von Unten auf seiner 32. Sitzung am Dienstagabend auf einer Podiumsdiskussion und suchte gleichzeitig nach Wegen „heraus aus dem Wartestand“. Der RAW-Tempel, in dem die Veranstaltung tagte, wurde dabei selbst zum Anschauungsobjekt, hatten den doch vor Jahren „kreative Initiatoren“ einfach in Beschlag genommen und der Bahn gezeigt, dass es Alternativen zu Abriss oder purer Vermarktung gibt.

Und an künftigen Möglichkeiten mangelt es nicht. Angesichts einer ungenutzten Kulisse von 5 bis 10 Prozent der Stadtfläche Berlins, wie der Architekt Norbert Rheinlaender analysierte, müsse ein „neues Denken“ über diese riesigen Brachen und ihre Verwendung einsetzen. Großen Grundstücksbesitzern wie der Bahn AG, dem Bund oder dem Land, die derzeit ihre unnütz gewordenen Flächen nicht rentabel veräußern könnten, „weil der Markt gesättigt ist“ und darüberhinaus rund 1,4 Millionen Quadratmeter Bürofläche leerstehen, sollte „offensiv“ entgegengetreten werden. Aber wie?

Was Rheinlaender meinte, war nicht der reine Akt der Besetzung, sondern ein Angebot samt Konzept: Statt die Flächen einer „Verwilderung“ zu überlassen, könnten Eigentümer und „kreative Nutzer vor Ort“ eine temporäre Bespielung, künstlerische oder gewerbliche Nutzung auf Flächen oder in Gebäuden verabreden, die jene toten Gelände wieder zum Leben erweckten. Das sei für Investoren allemal besser als Leerstand, „bereicherten“ solche Aktionen und ihre Macher doch Ort und Ansehen.

Versucht worden ist das schon – nicht nur am Volxgolf-Platz und anderswo, sondern an vier ausgewählten Bezirksstandorten im Kleinen, wo mit Eigentümern neue Wege aus dem Leerstand gefunden wurden, berichtete Simon Sommer (TU Berlin), der die Projekte betreute. Verlassene, marode Ladenlokale in Moabit und am Boxhagener Platz wurden von den Besitzern erstanden, renoviert und mit künstlerischer, aber auch neuer gewerblicher Nutzung „zwischengemietet“. Als dadurch das „Stadtteilimage“ insgesamt verbessert wurde, ließen sich Vermieter und Mieter gar auf langfristige Verträge ein. Aus Leerstand und temporärer Nutzung wurden rechtmäßige Dauerzustände.

Doch eigentlich wollte man größer hinaus, so wie Frauke Hehl und der RAW-Tempel. 10 Hektar Fläche der Bahn sind heute nicht Brachland oder dümpeln vor sich hin, sondern bilden „eine Stadt in der Stadt“ mit vielen Initiativen und Projekten, die sich die Friedrichshainer und Kreuzberger angeeignet und jetzt vertraglich gesichert haben. Dass solche Beispiele das Land ermutigen sollten, sich mit der Bahn „offensiv“ auseinanderzusetzen, um deren riesigen „geparkten“ Grundstückspool für die weitere Stadtentwicklung zu aktivieren, forderte Werner Orlowsky, grüner Baustadtrat a.D. aus Kreuzberg. „Es muss in die Hirne der Politiker und Besitzer“, große Stadtbrachen für die Zwischennutzungen zu öffnen. „Aneignung statt verscherbeln“ laute die Devise, würden doch derzeit die Eigentümer die Flächen sowieso nicht los, Gemeinde und Bewohner dagegen dadurch bereichert.

Dass ab diesem Zeitpunkt der Hauch der Hausbesetzerbewegung der 70er- und 80er-Jahre durch die Halle im RAW-Tempel wehte, war spürbar. Und auch das Ziel nahm eine neue Richtung. Wo so viel brach liegt, leersteht und nur den profitorientierten Interessen der Grundstücksbesitzer vorbehalten bleiben soll, kann man auch anders – nämlich will „Endnutzung statt Zwischennutzung“, will eine „Chance zum Definitivum“.

Der „König von Kreuzberg“, wie Orlowsky einmal genannt wurde, sah angesichts der großen leeren Flächen in Berlin die kleinen Möglichkeiten, über die gesprochen wurde, nicht mehr so richtig. Brauchte er auch nicht. Hausbesetzungen, Sanierungen und die Erfolgsgeschichte von Kreuzberg haben ihm Recht gegeben.