: Alle Macht den Ratlosen
Einen Skandal wird das Stück wohl nicht auslösen, dafür wurde es durch einen Skandal ausgelöst: „Das Geld, die Stadt und die Wut“ von Lutz Hübner widmet sich im Maxim Gorki Theater der Korruptionsaffäre rund um die Berliner Bankgesellschaft
VON SIMONE KAEMPF
Im Vergleich fühlt es sich nach freundlicher Sparkassenidylle an. Zwar suggeriert der Titel „Das Geld, die Stadt und die Wut“, wie das „Bankenstück“ auch heißt, Nähe zu Rainer Werner Fassbinder. Aber im Gegensatz zu „Der Müll, die Stadt und der Tod“ tritt kein gieriger Immobilienhai oder ein genialer Chefdenker auf, der hier im Alleingang verantwortlich zu machen wäre. Auch einen Skandal wird das Stück nicht auslösen, selbst wenn sich der Stoff anbietet. Die Distanz zu Fassbinder ist schlicht und einfach viel zu groß.
Lutz Hübner hat sein Stück im Laufe des vergangenen Jahres geschrieben, parallel zu der Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses und der Staatsanwaltschaft, die tausende Aktenorder nach Beweismaterial durchforsteten, um in diesem Jahr die wichtigsten Anklageschriften in der Korruptionsaffäre der Berliner Bankgesellschaft zu formulieren. Auf den ersten Blick hält auch in Hübners Stück die Frage nach der Schuld die Dramaturgie fest im Griff. Und Regisseur Volker Hesse lässt keinen Zweifel daran, warum er dieses Projekt gestartet hat. „Wo bleibt die Gerechtigkeit?“, lässt er stellvertretend den Buchautor Mathew D. Rose im Programmheft fragen, der die Bankgesellschaft nicht für einen Berliner Sonderfall hält: „Zurückbleiben wird ein kulturloses Armenhaus.“
Das befindet sich schon auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters, und empört heult der Chor derjenigen auf, die ahnen, dass eine Riesensauerei gelaufen ist. Wir schreiben das Jahr 2006, private Sparkonten sind wegen der Pleite längst enteignet. Keine Vorstandsetage, keine Monitore, keine Handys auf der Bühne. Aber viel Rauch brennender Barrikaden: Das Volk feiert den Umsturz. Es tanzt wie in „Stomp“ und revoltiert in freundlicher „Linie 1“-Atmosphäre.
Hübner lässt in seiner Vorlage das aufständische Volk und die kleine Gruppe Gefangener, die sich für die Bankenkrise verantwortlich zeigen, tribunalartig zusammenkommen. Hesse nutzt das optisch: das bewegliche Volk gegen die festgezurrten Gefangenen. Zusammen haben sie das System getragen, doch gegen die aufgesetzte Vergnüglichkeit der Oberfläche hat das Lehrstück über die Mechanismen von oben und unten keine Chance. Es kommt wie so oft: Die Vertreter des Kapitals und der Macht sind viel interessanter und theatralisch ergiebiger als diejenigen, die zu demonstrieren haben, wie ihnen der Garaus gemacht werden kann. Lächelnd charmiert etwa Michael Wenninger als ehemaliger Bank-Vorstandsvorsitzender das Publikum und hat nicht die Moral, aber die Lacher auf seiner Seite.
Hübner bemüht sich um verschiedene Sichtweisen, wie man es von seinen Stücken gewohnt ist, mit denen er die Topten als meistgespielter deutscher Gegenwartsautor anführt. Historische Stoffe, wie die Entdeckung der Nordwestpassage in „Die Franklin-Expedition“, kontrastiert er mit Satiren wie der Theaterselbstbeschau „Dramoletti“ oder den Beobachtungen der drei Mädchen, die in „Creeps“ um eine TV-Moderatorenstelle konkurrieren.
Als formale Grundlage wählt er für das „Bankenstück“ den Aufstand der Pariser Kommune von 1871 und ihre Niederschlagung durch die Regierung, vulgo: Nato-Truppen. Eingeschraubt sind die groben Fakten über die Bankenkrise: wie es wie geölt funktionierte, Gesellschaften in Gesellschaften zu gründen und Immobilien in Fonds zu verschieben. Aber ein Abend, der sich der kühlen Aufklärung widmet? Nein, denn bei all dem, was sich mit der Bankenkrise offenbart, kann einem schon der Hut hochgehen. Das wird hier nicht verborgen.
Zunder soll in der Luft liegen, aber die Mittel fallen unangenehm grob aus: Johlen, Stampfen, immer wieder laute Musik, Hubschraubergedröhne, als gekämpft wird, pathetisches Sprechen über das konkrete Leid und Folklore, wenn die Selbstzerfleischung der aufmüpfigen Bevölkerung, die schon die Pariser Kommune entkräftete. Das Drama tritt hinter Berliner Straßenkämpfe zurück, die so anspruchslos im Stadttheateroutfit auf die Bühne gebracht werden, dass man ihnen weder die Ernsthaftigkeit noch die Parodie abnehmen kann. Vor den Türen des Theaters ist man schon weiter. Die Initiative Berliner Bankenskandal verteilt Flugblätter, auf denen sie geduldig hinweist, dass die Risikoabschirmung die Stadt weiter Geld kostet. Ihr Volksbegehren, das Schadensbegrenzung einfordert, ist vom Senat abgewiesen. Sie wirken weniger wütend als vor allem beharrlich, und das hat etwas sehr Ermunterndes. Denn drinnen auf der Bühne sind die Stadt, die Wut, das Geld und die Beharrlichkeit wie Silvesterknaller in die Luft gegangen, die nur ein wenig Rauch hinterlassen.
Wieder am 27. 3. und 4., 13., 14. 4., jeweils um 19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte