: Harte Kost für kulinarische Deppen
Ullrich Fichtner erklärt den kulinarischen Zivilisationsrückschritt
Das „Tellergericht“, das Ullrich Fichtner mit seinem soeben in der Deutschen Verlags Anstalt erschienenen Buch auftischt, ist das Intelligenteste, was in den letzten Jahren zum kulinarischen Thema geschrieben wurde. Das Buch des Spiegel-Reporters hat das Zeug, zu einem Tischgebet jener Graswurzelbewegung zu werden, die sich bei Food Watch und Slow Food, in der Biobewegung und in vielen kulinarischen Freundeskreisen gegen den Untergang der Esskultur zur Wehr setzt – gegen das „kulinarische Analphabetentum“, wie der Autor es nennt. Er bringt die Symptome des kulinarischen Zivilisationsrückschritts auf einen Nenner. Dicke Kinder und Fernsehköche, Latte-Macchiato- und Sushi-Seuche, Geiz und Diätenwahn, Geschmacksverstärker und Gesundheitskost, elitäres Gourmetgeprotze und trauriger Kantinenfraß, Singleküche und familiärer Ernährungsalltag zwischen Aldi-Pizza und Schokoriegel – hier wird kein Einzelphänomen beschrieben, sondern die kulinarische Katastrophe in toto. Und plötzlich begreifen wir, dass alles zusammengehört: Der Verlust an Wissen und Kompetenz, das leichtfertige Delegieren des Kochens an Industrie und Mikrowelle hat uns zu kulinarischen Deppen gemacht.
Da wird jeder neue Lebensmittelskandal ungeachtet seiner tatsächlichen Relevanz hochgepuscht, da gehen zwischen Hirtenspieß und Mexikopfanne die kulinarischen Wurzeln verloren. Und die Industrie diktiert mit 7.000 Fertigprodukten den Speiseplan. Vor dem Teller sitzt der deutsche Michel: hilflos, orientierungslos, geschmacklos. Aber alles ist „total lecker“.
Fichtner gibt dem Essen sein kulturelles Besteck zurück: ein feines Gewebe aus Werten, Tabus, religiösen Einflüssen, Erfahrungen und Traditionen, Mythen und Illusionen. In einer Gesellschaft, die kaum noch kocht, die nur zehn Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgibt und Essen als Störung im Tagesablauf begreift, eine Gesellschaft, in der Katzenfutter teurer ist als ein Schnitzel, die für Motorenöl mehr ausgibt als für Olivenöl – eine solche Gesellschaft hat dieses Buch bitter nötig. MAN