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Archiv-Artikel

Das lukrative Streben nach dem utopischen Körper

Die 28-jährige Heidelbergerin Ruscha Kouril sammelte einst Titel als Kunstturnerin und ist heute die amtierende Fitness-Weltmeisterin

BERLIN taz ■ Weltmeisterin in Fitness? Da kommen einem die Freundinnen und Freunde in den Sinn, die erste Anzeichen körperlichen Verfalls mit einem Jahres-Abo fürs Fitness-Studio beantworten und sich mit nie dagewesener Disziplin und utopischen Absichten am eigenen Körper zu schaffen machen. Weit gefehlt! Eine Weltmeisterin in Fitness, offiziell „Miss Fitness“, gibt es wirklich: die 28-jährige Ruscha Kouril aus Heidelberg. Fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit ist aus der Fitness-Bewegung in den USA nämlich eine Sportart geworden, die man am besten als eine Mischung aus Aerobic und Bodybuilding beschreibt.

Dabei scheinen doch gerade Bodybuilding und Aerobic Phänomene aus längst vergangenen Zeiten. Mit der lächelnd hüpfenden Jane Fonda drang Letzteres zu Beginn der 80er-Jahre in die spröde Sportwelt der Deutschen, die sich, von der Trimm-Bewegung emanzipiert, nun endlich ernsthaft an die Arbeit am Körper machten. Heute treibt man Sport nicht mehr in Turnhallen, sondern in Studios, und die Erben der Fitnessbewegung heißen Body-Shaping, Fit for Fun und Taebo. Aerobic hingegen ist als internationaler Wettkampfsport institutionalisiert und drängelt auf Aufnahme ins olympische Programm, was allerdings die Gralshüter der wahren Fitness, den „Fitness America“-Verband in den USA, nicht im Geringsten interessiert. Denn bei ihnen geht es nicht allein um sportliches Können, sondern vor allem um den idealen Körper.

Der skurril anmutende Wettbewerb besteht aus drei Teilen: einer Fitness-Kür, der Bikini-Runde und einer abschließenden Interviewfrage. In unterschiedlicher Gewichtung richtet dann eine bunt gemischte sechsköpfige Jury über die Körper. Die sportliche Darbietung wiegt am schwersten: In der etwa drei Minuten langen Übung zu Musik wechseln sich tänzerische, akrobatische und Show-Elemente ab, Pflichtteile gibt es nicht.

Ruscha Kouril hat bei all ihren Fitness-Wettkämpfen die erste Runde noch nie verloren. Kein Wunder, ist sie doch auch nicht von Jane Fonda, sondern eher von Nadia Comaneci inspiriert. Als Kunstturnerin hat die ausgebildete Aerobic-Trainerin bis 1996 an sieben Welt- und Europameisterschaften teilgenommen, deutsche und österreichische Meistertitel in Mengen gewonnen. Noch heute übt sie bei der rumänischen Turntrainerin Maria Cosma in Heidelberg, startet in der Bundesliga und fasziniert fast nebenbei die US-Fitness-Szene, wenn sie lächelnd und leicht Salti, Flickflacks und freie Räder zeigt. Morgen Nachmittag führt Ruscha Kouril mit anderen Aerobic-Cracks ihre Künste in der Berliner Volksbühne im Rahmen des Kongresses „Utopische Körper“ vor.

In der zweiten Runde des Fitness-Wettkampfes spazieren jeweils fünf Teilnehmerinnen in ihren Wettkampf-Bikinis über die Bühne, zeigen sich von allen Seiten und drehen dann elegant wieder ab. Auf die Abgrenzung zum Bodybuilding legt Ruscha Kouril großen Wert: „Es gibt kein Posing. Wer zu viele Muskeln hat, der wird bei uns bestraft, das gibt Abzug!“ Es werden die Symmetrie des Körpers, der Muskeltonus und die Ausstrahlung beurteilt. In der letzten Runde der „Top Five“ gilt es schließlich, sprachlich zu überzeugen. Die Frage des Moderators ist völlig willkürlich – was man auf eine einsame Insel mitnehmen würde oder wie Mädchen zum Fitness-Sport zu bringen sind. Es gilt, das Publikum zu begeistern, dann warten Preisgelder und große Popularität in den USA. Damit es nicht langweilig wird, dürfen die Gewinnerinnen im Folgejahr nicht teilnehmen, die anderen sich aber umso mehr bemühen, beim „Miss Fitness Universe“ im Sommer und beim identischen „Miss Fitness“ im Winter eine gute Figur zu machen.

Ruscha Kouril absolviert gerade eine Ausbildung zur Sport- und Gymnastiklehrerin, nimmt Unterricht in Jazz-Tanz, Modern und Ballett. Später einmal möchte sie gern Bundestrainerin der deutschen Kunstturnerinnen werden. Noch ist aber die Fitness-Szene attraktiver. „Das beste Alter ist von 20 bis 30, also bin ich noch gut dabei, solange mein Körper mitmacht. Es erfordert einfach viel Arbeit, dass dein Körper so aussieht, wie er aussehen soll.“ Davon können auch die Freunde ein Lied singen, die nach ein paar Wochen im Fitness-Studio wieder aufgegeben haben. SANDRA SCHMIDT