: Hintergründiges Understatement
Richard Artschwager ist der Handwerker unter den Pop-Artisten – so solide und sorgsam durchdacht sind seine Formen. Zu seinem 80. Geburtstag zeigt die Deutsche Guggenheim nun eine kleine Retrospektive seiner Werke
Erstmals seit ihrem Bestehen ist in der Deutschen Guggenheim ein Kuddelmuddel ausgebrochen: Mit rund 40 teils großformatigen Werken des amerikanischen Altmeisters Richard Artschwager wirken die nicht eben großzügigen Räume Unter den Linden reichlich überfrachtet. Aber schon das Kernstück der Ausstellung „Auf und Nieder/ Kreuz und Quer“, nämlich zarte Kohlezeichnungen aus den 80er- und 90er-Jahren, lohnt den Rundgang unbedingt: Artschwager ist ein Könner der geschwungenen Linien – und der Irritation.
Da prangen einem in „Untitled“ von 1981 zwei wohlgeformte Damenbeine unter einem Tisch entgegen. Der Oberkörper fehlt jedoch, die Frau verschmolz offenbar mit ihrer Stuhllehne. Ein typisches Stubenhocker-Schicksal? Auch „Cat’s Eye View“ von 1997 verblüfft: mit einer übermächtigen, karierten Tischdecke im Vordergrund. Aber so sehen Katzen nun mal unsere Wohnzimmer: Sie finden sie überhaupt nicht komfortabel.
Manche von Artschwagers grandios pointiert gezeichneten Gemeinheiten sind gar von Sozialkritik beseelt: „Too far apart“ zeigt zwei Sitze, die über Eck an der Wand befestigt sind. Der eine liegt im hellsten Sonnenschein, um den anderen aber herrscht Finsternis: So nah beieinander können die Licht- und Schattenplätze des Lebens liegen.
Im Unterton warnend sind auch die Gemälde. Da ist ein Porträt von George W. Bush, und auf diesem grinst der Irakkrieger so harmlos und beliebig wie irgendein Geschäftsmann. „Scheiße hat keinen Geruch“, sagt Artschwager dazu und meint: Man sieht nicht jedem Satan an, dass er einer ist.
Auch das Jüngste der gezeigten Werke, die in Acryl gemalte „Green Closure“ von 2003, spielt mit dem Gegensatz von Sein und Schein: Drei Krawattenmänner, ein androgynes Fräulein und eine Splitternackte sitzen an einem Tisch. Doch nur die Tischdecke ist giftgrün leuchtend – der Skandal der Erotik ist, wie alles übrige im Bild, in Grautönen verborgen.
So zielt Artschwagers Kunst stets auf das Hintergründige, auf das, was erst entdeckt werden muss. Die plakative Abbildung des Eindeutigen überlässt er anderen – bei ihm triumphiert ein Humor, der sich erst bei genauem Hinsehen erschließt. Wie dunkle Irrlichter geistern denn auch auf die Wand aufgesprühte schwarze Ovale durch die Ausstellung: So genannte „Blps“, die auf den ersten Blick Lüftungsschächte simulieren und auf den zweiten jede Ernsthaftigkeit im Kunstbetrieb ad absurdum führen.
Der heute bald 80-Jährige war aber auch kein naiver junger Spund mehr, als er die Kunst für sich entdeckte: Erst im Alter von 39 Jahren fühlte er, der bis dahin Möbelbauer war, die Berufung „wie eine Erleuchtung“ in sich. Den Spürsinn für Design und Ästhetik bewahrte er sich, ebenso die Zuneigung zum Interieur. In der Ausstellung bezeugt das ein wunderbar freches Objekt: ein aufregend gestylter Sessel aus Rinderfell, dessen Sitzflächen so arrangiert sind, dass sie stark an einen Kuhhintern erinnern.
Auch eine Sammlung von Stühlen aus den 60er-Jahren, auf welche in Lebensgröße die Schwarzweißfotos ihrer „Be-sitzer“ montiert sind, macht deutlich, welchen Stellenwert Kunst und Abbildung für Artschwager haben: Sie stehen bei ihm als ironischer Ersatz für die Realität.
Unter den Pop-Artisten, zu denen er gezählt wird, nimmt er sich dennoch aus wie ein – wenn auch nur scheinbar braver – Handwerker: So solide und sorgsam durchdacht sind seine Formen. Und mit seiner Vorliebe für Schwarzweiß wirkt er im Vergleich zu Andy Warhol und Jeff Koons geradezu diskret: ein Meister des Understatement.
GISELA SONNENBURG
Bis 6. Juli, tgl. 11–20 Uhr, Do bis 22 Uhr, Mo freier Eintritt