beiseite : Preis für Ralf Rothmann
War da was?
Kaum ist der erste ökumenische Kirchentag vorbei, könnte es für die christlich bewegte Welt (und auch die restliche) schon wieder was zu feiern geben: Morgen erhält der Schriftsteller Ralf Rothmann in Frankfurt den Evangelischen Buchpreis für seinen im Jahr 2000 veröffentlichten Roman „Milch und Kohle“. Rothmann vereinige, so Manfred Kock, der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, „auf engsten Raum die großen Themen der Menschheit: Sexualität und Liebe, Krankheit und Tod, die Sehnsucht danach, im Leben zu Hause zu sein“.
Viel Ehre und schöne Worte für Rothmann also. Nur mit der Feier ist das so eine Sache, die dürfte sich nur im Kaisersaal des Frankfurter Römers abspielen. Um es mit F. K. Waechter zu sagen: Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein. Denn Literaturpreise werden in Deutschland inflationär vergeben, fein über den Daumen gepeilt zwischen 1.200- und 1.400-mal im Jahr: ob nun evangelische oder im Namen von Heinrich Heine, ob von der Stadt Bremen oder der deutschen Gartenbaugesellschaft.
Neulich erst hat Kathrin Groß-Stiffler den Alfred-Döblin-Preis bekommen. Oder Kathrin Schmidt den Droste-Literaturpreis der Stadt Merseburg. Oder Uwe Timm den Erik-Reger-Preis. Oder Zsuzsa Bank den Bettina-von-Armin-Literaturpreis der Frauenzeitschrift Brigitte. Oder Alexander Kluge den Büchner-Preis. Letzterer gilt als einer der wichtigsten in Deutschland. Aber weiß noch jemand, wer den Büchner-Preis vor zwei Jahren erhalten hat? Und wer den letzten Evangelischen Buchpreis bekommen hat?
Nun sind diese Preise zumindest eine schöne Anerkennung für Autoren und Autorinnen, manche gut für die Finanzen, existenzsichernd gar. Ein Wehklagen über den Schriftsteller als Angestellten, der gut gepolstert im Großraumbüro der Literatur sitzt, soll hier gar nicht angestimmt werden. Was für ein Quatsch zu sagen, nur wer in materielle Abgründe blicke, schreibe große Literatur!
Mit der Wertigkeit der einzelnen Literaturpreise aber hat man so seine Probleme: Ihre Bedeutung tendiert oft unter Null, ihre Aussagekraft über die Güte der jeweiligen Bücher und Preisträger nicht minder. Fast schon verdächtig ist es, wenn ein Autor von seinem Verlag in der Klappentextbiografie angepriesen wird mit den Worten: „Für seine Kurzgeschichten ist er vielfach ausgezeichnet worden.“ Ausgezeichnet dürften sie ja inzwischen alle sein, die deutschen Autoren und Autorinnen, mal mehr, mal weniger.
So darf es auch stark bezweifelt werden, dass durch den Evangelischen Buchpreis „das Lesen als Breitensport“ gezielt gefördert wird, wie es sich der Verband Evangelischer Büchereien so schön vorstellt. Schließlich wartet man schon heute mit feuchten Händen auf die Bekanntgabe der Corine-Buchpreisträger in München. Schließlich wird schon morgen in Berlin das Programm des Ende Juni stattfindenden Ingeborg-Bachmann-Wettlesens vorgestellt. Und übermorgen gibt es wieder irgendwo irgendeinen Preis. Keine Atempause, Preise werden verliehen.
GERRIT BARTELS