: „Der 17. Juni ist ein Supertag“
Die Konrad-Adenauer-Stiftung lud zu einer Gedenkveranstaltung zum 17. Juni 1953. Es hätte auch eine zum 9. November 1989 oder zum 11. September 2001 sein können. Heraus kam: Wir sind ein Freiheitskämpfer-Volk, so Kohl, Merkel – und Schabowski
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Gedenktage sind Provokationen. Sie provozieren Erinnerung und geschichtliche Auseinandersetzung genauso wie deren Missverständnisse. Sie provozieren jene, deren gedacht wird, ebenso wie die, die sich dafür rechtzufertigen hätten. Und sie provozieren historische Analogien sowie aktuelle Einladungen an so genannte Zeitzeugen, die mit dem Gedenktag garantiert nichts zu tun haben – und wenn doch, dann nur mittelbar.
Für letztere Provokation hatte sich am Mittwoch die Konrad-Adenauer-Stiftung entschieden. Das machte ihre Veranstaltung „Alles nur Geschichte? Der 50. Jahrestag des 17. Juni 1953“ nicht weniger interessant, weiß man doch nicht gleich, was herauskommt – Überraschungen inbegriffen.
Dass für die CDU-nahe Stiftung und die Protagonisten der Partei der 17. Juni 1953 nicht allein die Erinnerung bedeutet an den gescheiterten Versuch, via Volksaufstand den unterdrückerischen DDR-Staat zu kippen, ist kein Geheimnis. Seit den 70er-Jahren und der Ostpolitik Willy Brandts zieht sich durch das Geschichtsbild der Union der rote Faden, der 17. Juni sei zugleich nationales Hauptsymbol und Signal für „Deutschland auf dem Weg zu Einheit in Freiheit“. Sei’s drum.
Aufdringlich und geschichtsklitternd wird es aber, wenn, wie gestern geschehen, die „friedliche Revolution von 1989“ als direkter und erfolgreicher Vergleich herangezogen wird. Spielen doch hier die Akteure der CDU eine nicht unwesentliche Rolle für die „Freiheitsliebe und Demokratie in Deutschland“, wie Anton Pfeifer, CDU-Staatsminister a. D, zu Beginn anmerkte.
Also holte man diese Akteure aufs Podium, sich selbst zu feiern: Abgesehen von einem authentischen Stahlarbeiter („Ich war dabei, so war das damals“) und den Historikern Stefan Wolle, Detlev Kühn und Ruslan Grinberg (Russische Akademie der Wissenschaften), die den ungebrochenen Stellenwert des 17. Juni als Arbeiter-und-Volks-Aufstand in der Geschichtsrezeption etwas beleuchteten, führten andere das Wort.
Dass die CDU-nahe Stiftung dabei nicht auf den „Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl“ verzichten wollte, war klar, obwohl dieser die Ereignisse von damals nach eigenen Aussagen „daheim auf dem bequemen Sofa“ mitverfolgt hatte. Für den Historiker Kohl war zwar wichtig, zu sagen, dass sich „zwischen 1953 und 1989 die Weltlage total verändert hat“, Vergleiche sich also ausschlössen. Der „Genius der Freiheit von 1953“, für Kohl wohl eine urdeutsche Sehnsucht, war jedoch Triebfeder von 1989 – dank seiner, der polnischen Gewerkschaft Solidarität und Michail Gorbatschows Hilfe.
Und mehr noch ließ der Alte wissen. Damit das Bewusstsein nach Freiheit nicht versiegt, forderte Kohl, an Schulen ein besseres Geschichtsverständnis zu vermitteln. Dabei dürften nicht nur trockene Fakten transportiert werden: „Ich wünsche mir vom 17. Juni, dass er unter die Haut geht.“ Angesichts der „großartigen Frauen und Männer“ des Arbeiteraufstandes müsse den Schülern gesagt werden: „Das ist unser Land. Und darauf dürft ihr stolz sein. Das ist ein Supertag.“
Ebenso für Angela Merkel: Zwar war auch sie 1953 nicht dabei, weil noch nicht geboren. Darum hielt sich die CDU-Chefin wohl nur einen kleinen Augenblick an dem historischen Aufstand auf, der „gegen das gesamte System und für Freiheit und gegen Unterdrückung“ ausgebrochen und nur mit „Hilfe des Sowjetblocks“ niedergeschlagen worden war. Danach zog sie die „Lehren aus den Ereignissen des 17. Juni“, die ihre eigenen kürzlich in Washington waren. Angesichts des 11. September 2001 rief sie zum „Export von Freiheit und Demokratie“ auf, um „Dikaturen in die Knie zu zwingen“. Nur so könne in der Welt Frieden geschaffen werden.
Dergestalt wollte auch Günter Schabowski, früher SED-Politbüromitglied und damit auf der anderen Seite der Barikade, nicht mehr in die Suppe spucken. Nach einer klugen Analyse deutsch-sowjetischer Befindlichkeiten im Juni 1953 vor dem Hintergrund nach Stalins Tod im März des gleichen Jahres lenkte der SED-Mann ein: „Der 17. Juni war der Beginn des Weges zu einem Deutschland in Freiheit.“ Das hätte von Kohl sein können.