Dirk Knipphals und Cristina Nord rezensieren Traumsoftware

Schlechtes Gewissen zuschaltbar

■ „Die Grube und das Pendel II“: Albträume sind derzeit groß in Mode. Der Nachteil dabei bekanntlich: Man wacht häufig auf und kann aufgrund der erhöhten Herzfrequenz nicht wieder einschlafen. Das war auch das Problem bei der ersten Fassung des Traumprogramms „Die Grube und das Pendel“, das ganz wundervolle Albträume nach Kurzgeschichten des US-amerikanischen Klassikers Edgar Allen Poe woobelt: Im letzten Jahrtausend hatten sie noch genug seelische Probleme zu unterdrücken, um wirklich exquisite Martern fantasieren zu können. Gerade klassisch laufen dabei vor allem die Lebendig-begraben-Sequenzen ab. Nur der Mahlstrom lässt etwas zu wünschen übrig; aber Wasser ist wirklich schwierig zu generieren. Die zweite Fassung des Traumprogramms nutzt nun eine Technik Poes, das so genannte A-dream-within-a-dream-Verfahren, um dem Aufwachproblem zu entgehen: Man träumt nur noch, aufzuwachen, und schläft in Wirklichkeit einfach weiter. Das Ergebnis ist überzeugend: Selten konnte man seelische Entlastung so gut mit entspannenden Schlafsequenzen kombinieren. Wer es etwas geruhsamer mag, kann die begleitenden Drogenexzesse einfach ausschalten. Allerdings entgeht ihm was.

■ „Volare“: Auf dem Pass: hinter einem der Steilpfad, rechts und links Felsnadeln, vor mir, tief unten, der Boden eines Kessels, darin ein See. Ich neige den Oberkörper vor, lasse die Arme in der Luft kreisen, und schon hebe ich ab. Wie eine Schwalbe brüsk die Richtung wechselt, so drehe ich nach rechts ab, nach links, scharf an den Felsnadeln vorbei, ich spucke in den See, so nah bin ich der Wasseroberfläche, dass mich die Reflexion des Sonnenlichts kurz blendet. Doch schon habe ich die gegenüberliegende Wand des Kessels erreicht, ich schwinge mich auf, ein langer Gleitflug folgt. In „Volare“ ist die Landschaft eher alpin, und doch kommt dieser Augenblick, in dem ich eben noch das Hochplateau und jetzt das Nichts unter mir habe. Von Angst keine Spur. Bei Vorgängerprogrammen wie „In the Open Air“ oder „In Flight“ war das noch anders, in die Beschleunigung mischte sich ein Ruckeln. Einmal, als ich gerade das Aufsteigen träumte, stürzte das Programm ab, und erst der Wecker beendete den schwer erträglichen Traumstillstand. „Volare“ hingegen gibt dem Träumer das Gefühl, dass er sich in jede Richtung bewegen kann – das nächtlich-euphorische Gefühl, schwerelos zu sein.

■ „Barbarian“: Neopostmoderne Erzählstrategien sind nicht jedermanns Sache: Vierfach codierte Handlungsfäden schön und gut, aber Archaismen haben auch ihren Reiz! Unschlagbar in dem hier derzeit richtungsweisenden Almighty-Traumsegment sind die Produkte aus der „Barbarian!“-Reihe. Unter den drei Szenarien Krieg, Beziehung und Büro hat während des Testlaufs das Büro am meisten für sich einnehmen können: Wer wollte nicht mal seine Mitarbeiter nach Herzenslaune verprügeln können! Hübsch dabei die vielen netten Details, die die Wunscherfüllung garnieren: Schauen Sie Ihren Chefs mal ins Gesicht, während Sie auf einer Vollversammlung unter dem Jubel aller Kollegen „Stürzen! Stürzen!“ ausrufen. Die Angstgenerierungsmatrix der naturgetreu aus Ihren Gehirnströmen konstruierten Chefgesichter funktioniert tadellos. Okay, man amüsiert sich freilich unter Niveau. Aber das doch ziemlich ausgiebig. Schlechtes Gewissen ist wahlweise zuschaltbar.