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Archiv-Artikel

SMS als neue Wunderwaffe im Wahlkampf

Auf den Philippinen wurde per SMS schon ein Aufstand organisiert. Jetzt haben Wahlstrategen diese Technik entdeckt

Der Vorteil: SMS sind schnell, direkt und billig und lassen sich wie ein Virus verbreiten

MANILA taz ■ „Nicht schon wieder!“ Halb genervt, halb belustigt greift Marylan zum piepsenden Handy, das den Eingang einer SMS (Short Message Service) meldet. Kurzes Tippen auf der Tastatur, dann hat die 25-jährige Philippinerin den Text im Display. „Vote wisely“, steht da, „Wähle mit Verstand“. Zur gleichen Zeit wie bei Marylan, die in einem Café der Hauptstadt Manila sitzt, haben tausende anderer Handys irgendwo im Archipel den Slogan als SMS empfangen. Absender: Unterstützer von Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo.

Ohne Mobiltelefon geht nichts im philippinischen Wahlkampf. Am 10. Mai wird im Inselstaat über Präsident und Vizepräsident, den halben Senat und das Repräsentantenhaus abgestimmt. Mehr als 40 Millionen Philippiner sind wahlberechtigt, 70 Prozent davon sind jünger als 40 Jahre. „Die meisten jungen Philippiner besitzen ein Handy“, weiß Darwin Mariano, der im Wahlkampfbüro von Präsidentschaftskandidat Raul Roco an schlauen Sprüchen feilt, obwohl sein Boss derzeit wegen Krebsverdachts in den USA untersucht wird. Er nutzt „texting“, wie SMS auf den Philippinen genannt wird, als Propagandawaffe. „Roco kommt zurück“ ist eine Parole, die dessen Büro derzeit verschickt. Oder: „Vertraut Roco“.

Das Internet spielt auf den Philippinen nur eine untergeordnete Rolle, weil zu wenig Menschen Zugang zu Computern haben. Neben den traditionellen Medien TV, Radio und Zeitungen nutzen die Wahlkampfstrategen erstmals intensiv das Mobiltelefon.

Die Philippiner gelten als SMS-Weltmeister. Bis zu 200 Millionen SMS zirkulieren dort täglich. Mehr als 20 Millionen Philippiner, ein Viertel der Bevölkerung, besitzen ein „Cellphone“. Doch statt Telefonieren ist Texten angesagt: Wo immer Philippiner unterwegs sind, tippen und senden sie in rasantem Tempo Grüße, Witze oder Verabredungen. Ob im Restaurant, bei der Massage oder im Kino – das Handy piepst, die SMS wird gelesen und beantwortet. Das permanente Klack-Klack auf den Minitastaturen stört allenfalls Ausländer. Mon Isberto, Pressechef des Telekommunikations-Riesen Smart, nennt die Vorzüge: „Texting ist schnell, direkt und vor allem billig.“ Ein Telefonat im Festnetz kostet 4,5 Peso, ein Handyanruf 5,5 Peso, eine SMS hingegen nur einen Peso, umgerechnet keine zwei Cent. „Billiger kann Wahlkampf nicht sein. Und SMS verbreiten sich schnell wie ein Virus.“

Die Philippinen haben bereits gezeigt, was „texting“ bewirken kann. Die so genannte Peoples Power II Revolution, die im Januar 2001 zum Sturz von Arroyos korruptem Vorgänger Joseph Estrada führte, wäre ohne SMS nicht möglich gewesen. Zehntausendfach piepsten im Januar 2001 Handys in Manila, hunderttausende Menschen folgten dem Aufruf zum Massenprotest. „Die Philippinen sind wohl der einzige Staat, in dem ein Präsident mit Hilfe von Handys abgesetzt wurde. Es war eine sehr wirkungsvolle Waffe des Volkes“, sagt Talkschowmaster und Soziologieprofessor Randy David.

Die Wunderwaffe soll nun den fünf Präsidentschaftskandidaten nützen. Manilas früherer Polizeichef Panfilo „Ping“ Lacson etwa beschäftigt so genannte „text brigades“. Dank moderner Software können die Helfer am Computer mehr als 100 SMS pro Minute verschicken. Die Slogans sind simpel: „Don't vote Gloria“ oder „Ping is the best“.

Nicht jeder ist glücklich über die zusätzlichen SMS im Wahlkampf. „An die Werbung von Firmen habe ich mich ja gewöhnt, aber von Politikern will ich in Ruhe gelassen werden“, motzt die 26-jährige Jessica, die bei einer internationalen Organisation arbeitet. Marylan sieht das gelassener. Sie amüsiere sich über das Bemühen der Kandidaten. Richtig Wahlkampf lasse sich so aber nicht machen, denn: „Die Texte sind viel zu kurz.“

Daran arbeiten Smart und Konkurrent Globe Telecom: Neue Technologien sollen den Versand langer SMS bald möglich machen. Zu spät für diese Wahlen, aber früh genug für die nächsten. HILJA MÜLLER