: Es musste fast immer Kaviar sein
Johannes Mario Simmel war ein Moralist, der nach dem Krieg mit dem rasanten Lob auf die neue Zeit das Leben umarmte – ohne sich bei den Mächtigen anzubiedern. An Neujahr ist der Schriftsteller, der 75 Millionen Bücher verkauft hat, gestorben
VON JAN FEDDERSEN
So richtig zufrieden guckte Johannes Mario Simmel schon vor gut einem Jahr nicht auf sein Leben zurück. „Ich habe für ein langes Leben wenig erreicht“, sagte er im Gespräch mit der Schweizer Weltwoche, „zum Beispiel habe ich immer gegen die Pest der Nazis und Neonazis geschrieben, und sie sind immer noch da – und wie!“ Und mit Blick auf seine eigenen Jahre während der nationalsozialistischen Zeit fügte er kühl hinzu: „Die Nazis waren die größte und echteste Volksbewegung, die es je gegeben hat.“ Dagegen anzuschreiben war Kern seines Schaffens. Offensichtlich nahm ihm aber genau dieser Motor die Möglichkeit zu sehen, dass das, was den Nationalsozialismus ausmachte, eben längst nicht mehr cool ist.
Simmel hat wie kein anderer der populären Schriftsteller der langen Nachkriegszeit diese Volksbewegung zum Thema gemacht; von seinen Büchern mit Titeln wie „Mich wundert, dass ich so fröhlich bin“ (1949), „Das geheime Brot“ (1950), „Es muss nicht immer Kaviar sein“ (1960), „Bis zur bitteren Neige“ (1962), „Liebe ist nur ein Wort“ (1963), „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ (1970) bis „Hurra, wir leben noch“ (1978) wurden 75 Millionen Exemplare verkauft.
Er war ein Volksschriftsteller im besten Sinne. Von seinem (Generations-)Kollegen Heinz Günther Konsalik („Der Arzt von Stalingrad“) unterschied ihn nachgerade alles: Während jener ein Publikum bediente, das die Trauer um die Kapitulation 1945, um die Niederlage nicht nur im militärischen Sinne depressiv immer im Gemüt behielt, schrieb Simmel wie ein Berserker sich in die neuen, ersehnten Zeiten hinein. Seine Helden, beispielsweise Thomas Lieven in „Es muss nicht immer Kaviar sein“, hatten immer etwas Gebrochenes, Gestraucheltes, zugleich aber lebte in ihnen so etwas wie eine Neugier auf ein besseres Leben, das nicht in eine Matrix von Führerbefehlen und Herrenmenschenallüren passte. Simmel war der Schriftsteller, der keine deutsche Geistigkeit zu Markte trug, sondern emphatisch die swingenden, lebenslustigen und individuellen Zeiten nach dem völkischen Desaster beschwor.
Er lebte den Traum des Davongekommenen. Geboren wurde er 1924 in Wien, seine Eltern kamen aus Hamburg. In Wien wuchs er auch auf, machte eine Ausbildung zum Chemieingenieur. Sein Vater, jüdisch, konnte kurz vor dem österreichischen Anschluss an Deutschland nach England fliehen. Nach dem Krieg wurde Simmel rasch als unnazihaft eingestuft, für die amerikanische Militärregierung arbeitete er als Übersetzer und Journalist. Nach ersten Geschichten, die als Novellensammlung 1947 unter dem Titel „Begegnung im Nebel“ erschienen, kam Simmel 1950 zur Quick – einer Illustrierten, die damals enorm wichtig war für die Reedukation des „Herrenvolkes“. Das Credo war: Hinaus in die Welt, berichten, was Sache ist, den Oberen nicht nachgeben, den schönen, privaten Seiten des Lebens nachgehen, berichten darüber, was schön und gut und spannend ist. Simmel sagte immer, Recherche sei die Quelle allen Schreibens, der Blick auf den eigenen Bauchnabel interessiere nur den Bauchnabel selbst.
Während Konsaliks Geschichten immer durchtränkt waren von Hass auf die neuen Zeiten, lebten die von Simmel vom rasanten Lob auf diese. Simmels Helden hatten etwas James-Bond-Haftes, es waren sinnliche Dramen um Liebe, Sex, Neid, ums Fressen und Ficken, um Unrast und Verrat, um politische Korruption, um den Zynismus der Herrschenden. Die schreiberische Kunst des Johannes Mario Simmel bestand allerdings darin, dass er diese Geschichten nicht als Lehrstücke, als bildungsbürgerliche Piecen für die gediegene Beweihräucherung in eigener Sache anlegte, sondern als zu Büchern geronnene Filme.
Kurz nach dem Krieg, so gab er der Weltwoche zu Protokoll, „wollte ich so schön schreiben wie Verlaine und Rilke zusammen, aber „als mich dann die gute alte Quick losschickte und ich all das Elend, die Kriege, das Töten und die Lust am Töten sah, da sagte ich mir: Es ist nicht die Zeit, um wie Rilke zu schreiben“. Er wollte „den Menschen die Wahrheit nahe bringen“, als Akt der Desillusionierung über alle großen politischen und ideologischen Erzählungen. Dem Motto von Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, pflichtete er leidenschaftlich bei. Unumwunden räumte er ein, ein Verzweifelter zu sein – der nach außen allerdings jede Gelegenheit zur Wohllebe mitnahm. Seine Kunst war die des Details: Schmalzbrote, Kaviar, Organzakleider, Smokings, Hotellobbys, Zigarrensorten … alle Kleinigkeiten einer Geschichten waren ausgemalt, erkundet, belebt. Simmels dickleibige Romane sind Kunstwerke des Spannungsaufbaus und der Inszenierung. Er arbeitete mit Cliffhangern, mit harten Schnitten, jede Lesegier beflügelnd. Man musste weiterlesen, erfahren, wie die Geschichte weitergeht, endet.
Champagner oder Bier – einerlei: Simmel entwarf eine Choreografie der Freiheit, einen Plan von Möglichkeiten, auf dass der braune Terror nie wieder zum Zuge kommt. Seine Nazifiguren hatten etwas Schneidiges, Kaltes, Fürchterliches. Simmel setzte ihnen, vor allem in „Hurra, wir leben noch“ aus dem Jahre 1978, ein Panoptikum der Sinnenlust entgegen. Aus dieser in den Fünfzigerjahren angesiedelten Romansaga eines Mannes namens Jakob Formann entwickelt er ein Grundgefühl jener, die die Fünfzigerjahre zugleich auch als eine Restabilisierung alter Klassen- und Distinktionsverhältnisse erinnern. Formann, so wird geschildert, wollte nur die sieben nationalsozialistischen Jahre nachholen, gestohlene Jahre. Sein Aufstieg zum Kapitalisten ist ein Lehrbeispiel für den Aufstiegswillen seiner Generation – aber Formann wird nie Freund mit den Großkopferten, statt Champagner zieht es ihn zum Bier.
Als er alles verliert, merkte er, dass er die Kraft, die er zur gesellschaftlichen Selbstbehauptung einsetzt, nun der Liebe widmen möchte. Der Spiegel erkannte in Simmel einen „Beststeller-Mechaniker“, andere Rezensenten einen Moralisten – Urteile, die triftig scheinen. Keine der Simmel-Geschichten mag vom Oben-unten-Gegensatz lassen: die Oberen verlogen und heuchlerisch, die Unteren ehrlich und gut.
In den Siebzigerjahren begann man auch aufseiten der Feuilletons, einen wie Simmel ernst zu nehmen – Erfolg, ausgedrückt in Auflagenzahlen, galt nicht mehr als anrüchtig. Regisseure wie Roland Klick nahmen sich seiner Stoffe an, ein Theatermann wie Peter Zadek entwickelte aus „Hurra, wir leben noch“ eine großartige Revue. An Simmel störte nicht mehr, dass er kein Verlaine oder Rilke war – man nahm seine Geschichte als immer leicht überheizte Dokumente dessen, was eben gerade noch war: als Chronist des Zeitgenössischen. So sollte man Simmels Geschichten gerade in diesem Jahr, 2009, lesen: Es könnte behilflich sein, der drohenden Selbstbesoffenheit angelegentlich des 60. Jahrestags der Gründung der Bundesrepublik mehr als nur ein wenig Wermut beizufügen. In seinen Sagen ist von Restauration die Rede, vom Ekel der höheren Schichten auf das Demokratische.
Simmel, der mit Marlene Dietrich befreundet war, der in Iris Berben eine Schwester im Geiste („Nie wieder) des Kampfes gegen Antisemitismus hatte, fand spät Anerkennung bei den Oberdeutern der Feuilletons. Schirrmacher und andere zollten ihm Respekt. Marcel Reich-Ranicke attestierte ihm, „wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor einen fabelhaften Blick für Themen, Probleme, Motive“ zu haben – Umweltverschmutzung, Klassendünkel, Drogen, Kriege, die sogenannte Vergangenheitsbewältigung. Ein Erzähler von großem Format, ein Mann, der Bücher schrieb, bei denen man nicht vom Lesen lassen mochte.
Er litt länger schon an schwerem Gemüt, zumal er viele Jahre ohne seine geliebte Frau Lulu leben musste. Seine letzte Arbeit schrieb er nicht mehr zu Ende, fraglich, ob er dies je schaffen wollte. Die Zeiten der Moralisten seiner Prägung, das wird er geahnt haben, waren passé. Die große Wut des Nachkriegs scheint nur noch Sache der Altgewordenen zu sein, die Jungen vermögen sich in diese Tragödien nicht mehr hineinzufühlen. Am Neujahrstag ist Johannes Mario Simmel, glühender Antinazi, in seinem Alterswohnsitz in Luzern gestorben.