: Ein Wahnsinns-Film
Denis P. hielt sich für den wiedergeborenen Jesus, dessen Leben verfilmt wurde. In diesem Zustand schubste er einen Mann vor eine U-Bahn. Nun steht P. vor Gericht. Staatsanwalt will Klinikeinweisung
von KIRSTEN KÜPPERS
Der junge Mann war einer Mitarbeiterin der Schnellrestaurantkette Burger King aufgefallen. Der Mann lief durch das Lokal, er redete gedankenverloren vor sich hin, stopfte hastig Essensreste in den Mund. Die Hamburger-Verkäuferin hatte ein paar Tage zuvor ein Phantombild gesehen – gesucht wurde ein Unbekannter, der einen Mann vor eine U-Bahn geschubst hatte. Und dieser Lokal-Besucher verhielt sich auffällig. Sie rief die Polizei.
Als der 23-jährige Denis P. dann auf dem Revier saß und die Beamten ihn fragten, warum er dieses sinnlose Verbrechen begangen hat, das am 11. Dezember 2001 im U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz geschehen ist, reagierte Denis P. wie ein Mensch, der die Verbindung zur Außenwelt längst verloren hat. Er antwortete in zerrissenen Halbsätzen, sprach von sich selbst in der dritten Person. Er erklärte, den Bundeswehrsoldaten nur in der Fantasie vor die U-Bahn gestoßen zu haben. Als die Beamten ihm erklärten, dass die Tat in der Realität stattgefunden hat, zeigte er sich überrascht.
Seit gestern muss sich der arbeitslose Industriemechaniker Denis P. nun vor dem Landgericht verantworten. Angeklagt ist er wegen versuchten Mordes an Arkadius M. Der 26-Jährige hatte in dem U-Bahnhof gewartet. Er wurde von drei Wagen überrollt, als er vor einen einfahrenden Zug geschubst wurde. Es grenzt an ein Wunder, dass M. überlebt hat. Ein halbes Jahr lag er im Koma. Seinen linken Arm hat er verloren. Jetzt sitzt er in einem Rollstuhl im Gericht, verfolgt mit wachen Augen die Fragen der Richterin, die Antworten des Angeklagten. Er selbst kann sich an die Tat nicht erinnern, sagt Arkadius M. Aber dem Täter habe er ins Gesicht blicken wollen. „Er hat mein Leben ruiniert. Ich wünsche ihm die Höchststrafe.“
Denis P. ist ganz in Schwarz gekleidet. Fast unbeteiligt sitzt er auf seinem Stuhl. Die Augenlider sind schwer. Wegen der Tabletten, die er bekommt. Der Zustand seines Mandanten sei derzeit stabil, sagt sein Anwalt. Die Tat fiel in eine Phase von P.s Leben, in der seine Tage bereits zwischen Wahnvorstellungen und emotionalen Irrfahrten pendelten. „Ich fühlte mich von Deutschland kontrolliert“, sagt P. vor Gericht. Er habe sein Opfer vor die U-Bahn geschubst, weil er dachte, dies sei ein Teil einer Inszenierung. Seiner Vision nach war er selbst der wiedergeborene Jesus, über dessen Leben ein Film gedreht werden sollte. Er habe nicht gedacht, dass Arkadius M. wirklich verletzt werden könnte.
Bereits im November 2001 war Denis P. auffällig geworden. In einem Moabiter Kaufhaus hatte er unversehens mit einem Messer auf ein Kleinkind eingestochen. Auch an diesem Tag hatte P. das Gefühl, er sei Teil eines größeren Ganzen, er habe Stimmen gehört: „Ich dachte, das Kind sei durch eine Puppe ersetzt worden. Ich dachte, ihm könnte nichts passieren.“ Das Kind kam damals mit leichten Schnittverletzungen davon.
Denis P. weiß nicht, wo die Wahnvorstellungen herkommen. Er weiß nur, dass er deswegen zuerst seinen Großvater angefallen hat. Damals habe er sich freiwillig in eine Nervenklinik begeben. Die Ärzte schickten ihn nach zwei Wochen wieder nach Hause. „Es war so, als ob man mir nicht helfen wollte“, erzählte P. gestern. Er kehrte zurück in seine Wohnung in Reinickendorf.
Die Nachbarin berichtet, dass P. oft randaliert und geschrien habe. „Der Mann war verzeifelt“, sagt sie. Der Staatsanwalt strebt nun die Unterbringung in einer Klinik an. Eine Aussicht, die nichts besser macht für Arkadius M.. Mit hoch aufgerichtetem Kopf schaut er den Angeklagten an. Sein Vater sitzt neben ihm und weint. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.