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Archiv-Artikel

Horst Köhler? Fragen Sie die Argentinier

Als Politiker ist der Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten in seinem Heimatland kaum bekannt, als IWF-Chef in den Entwicklungsländern hat er längst einen Namen – und keinen guten. Eine Bilanz über vier Jahre Währungsfonds unter Köhler

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Das hat es noch nie gegeben: Am Wochenende wird vermutlich ein Mann zum Bundespräsidenten gewählt, den man in weiten Teilen der Welt besser kennt als zu Hause. In Buenos Aires und Rio de Janeiro dürfte der Name „Horst Köhler“ geläufiger sein als in Berlin – als Chef einer Behörde nämlich, die zum Inbegriff allen wirtschaftlichen Übels wurde. Der Internationale Währungsfonds (IWF), so die Überzeugung der breiten Masse, ist Schuld an Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen, und der Deutsche an seiner Spitze hat dafür geradezustehen.

Die Kritik am IWF ist so wenig falsch wie neu: Schon seit den 80er-Jahren würgt die vom Fonds verordnete Politik – sparen, kürzen, privatisieren – die Wirtschaft in vielen armen Ländern ab. Weil die Experten im fernen Washington beispielsweise der Meinung sind, ein Land wie Bolivien müsse seine überbordenden Beamtenapparate abbauen, stehen Menschen plötzlich auf der Straße. Hilfe vom Staat gibt es nicht: Regierungen müssen haushalten lernen, findet der IWF. Umstritten war der Washingtoner Finanzgigant daher auch schon, als Köhler vor vier Jahren den Sessel des obersten Direktors erklomm.

Doch mit dem neuen Chef schien endlich auch ein neuer Wind beim IWF Einzug zu halten. Töne der Selbstkritik drangen durch die Betonmauern nach draußen. Köhler versprach seinen Feinden „Dialog“ und „Transparenz“ und den Entwicklungsländern „Selbstbestimmung“. Er reiste nach Afrika, predigte „Armutsbekämpfung“ und kritisierte die Länder, die ihre Märkte gegen Waren aus Asien, Afrika und Lateinamerika abschotten. Ein Hoffnungsträger.

Vier Jahre später nun verlässt Köhler seinen Posten – und der Fonds ist umstrittener als je zuvor. Dabei gab es durchaus auch Erfolge, zum Beispiel Köhlers Wunsch nach mehr Dialog: Tatsächlich legte der IWF-Chef bei seinen Reisen Wert auf das Gespräch mit Leuten aus dem einfachen Volk. Oder die Forderung nach mehr Transparenz: Dem IWF kann heute niemand mehr vorwerfen, er meide die Öffentlichkeit. Von seiner Homepage und dem Presseservice könnte sich manch ein deutsches Ministerium lernen.

In die richtige Richtung schritt Köhler auch, als er einen neuen Kredittyp mit sozialer Komponente einführte: Geld für die ärmsten Länder solle es künftig nur dann geben, wenn diese selbst einen Plan zur Armutsbekämpfung aufstellen. In der Praxis allerdings bleibe „das Soziale“ dann doch meist außen vor, kritisiert etwa der honduranische Schuldenexperte Pedro Morazán: „Wenn der IWF in meinem Land fordert, das ohnehin schon miserable Gehalt der Lehrer trotz hoher Inflation einzufrieren, dann müssen die Lehrer noch zwei Jobs nebenher machen. Zu mehr Bildung führt das bestimmt nicht.“ Auch der Wunsch des IWF, möglichst viele Gruppen aus der Bevölkerung mit einzubeziehen, sei eine Farce: „In Honduras haben die Reichen eine starke Lobby, und die Armen sind kaum organisiert.“

Pech für Köhler – seine schwachbrüstigen Erfolge gingen unter in der Brasilienkrise, in der Türkeikrise und vor allem im ganz großen Argentinien-Crash. Und mit den Krisen schwanden auch Köhlers gute Vorsätze, mit einer alten IWF-Unsitte Schluss zu machen: Den Banken und privaten Kapitalanlegern im Land mit einem Milliardenkredit aus der Patsche zu helfen – zum Schaden der Steuerzahler weltweit. Ankara erhielt im Februar Kreditzusagen über 16 Milliarden Dollar, noch höhere Summen für Brasilien flossen ab September.

Schlimmer noch: Anders als im Jahr 2000 gilt heute das neoliberale Modell des IWF als gescheitert, und nicht mehr nur bei seinen notorischen Kritikern. Studien der UNO beispielsweise zeigen, dass die ärmsten Entwicklungsländer nur noch ärmer wurden, wenn sie die Ratschläge des IWF befolgten. Im einst wohlhabenden Land und IWF-Vorzeigeprojekt Argentinien lebt mittlerweile rund die Hälfte der Menschen in Armut. 2001 brach das Währungssystem zusammen, noch Mitte 2000 wollten die Doktoren der Volkswirtschaft in Washington davon nichts ahnen und bewilligtem dem bankrotten Land stattdessen einen neuen Kredit.

Mit den Worten, dies sei die „schlimmste Entscheidung, die der Fonds je traf“, trat damals Chefvolkswirt Michael Mussa zurück. Horst Köhler blieb.